Das Versteck der Anakonda
strahlenden Augen Estéban und in großem Abstand eine Handvoll Männer aus dem Camp Napo.
»O Gott, ich war noch nie in meinem Leben so froh, dich zu sehen. Habt ihr wirklich unsere Feuerschiffe entdeck…« Paul unterbrach
sich, denn er hatte Juanito leise stöhnen gehört.
»Juanitos Bein … er hat einen üblen Schlag abbekommen. Ihr müsst sofort etwas unternehmen!«
Jetzt geriet Bewegung in die Erwachsenen. Dr. Zernott machte einen schnellen Schritt auf Juanito zu und besah sich die blutverkrustete Wunde.
»Paco! Den Arztkoffer!«
Paco, Estébans Bruder, sprang zum Ufer zurück und brachte einen großen silbernen Koffer mit rotem Kreuz herbei. Juanito stöhnte
laut auf, als Dr. Zernott begann, das Bein zu verarzten.
»Die Wunde ist sehr tief, da muss ein Arzt draufgucken. Estéban und Paco werden dich nach Puerto Misahuallì ins Krankenhaus
bringen. Willst du ein Schmerzmittel haben, mein Junge?«
Juanito nickte heftig mit dem Kopf, auch wenn er angesichts der Spritze, die der Biologe dann auspackte, lieber die Augen
verschloss.
Inzwischen war Oma Esmeralda bei Joe angekommen.»Tss, tss, tss, junger Mann! Ihre Stirn hat vor ein paar Tagen irgendwie anders ausgesehen. Es sieht so aus, als sollte der
Arzt sich auch ein wenig mit Ihnen beschäftigen.«
»Mit mir, nein, ich bin schon wieder ganz in Ordnung.«
Wohl um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, sprang Joe auf und lief ein paar Schritte umher. Was allerdings keine gute Idee
war. Denn auf einmal fing er an zu torkeln und sich um sich selber zu drehen. Er wäre mit Sicherheit umgefallen, hätte nicht
Estéban ihn geistesgegenwärtig im letzten Moment gestützt.
»Ganz in Ordnung?« Dr. Zernott hatte sich zu ihm hinübergedreht. »Davon scheint Ihr Kreislauf wohl noch nichts mitbekommen zu haben. Oder?«
»Schon gut, ich werd mit Estéban, Paco und Juanito zum Arzt fahren.«
Eine Weile herrschte geschäftiges Durcheinander. Die verschiedenen Versionen der Abenteuergeschichte wurden kreuz und quer
durcheinandererzählt. Die Erwachsenen kamen aus dem Staunen nicht heraus. Vor allem Joes Bericht über Wolfs brutalen Raub
rief große Empörung hervor.
Oma Esmeralda war überall. Sie hatte wohlweislicheinen großen Korb voller Tortillas, Würste und Brot eingepackt. Jetzt, da die Angst und Sorge der letzten Stunden verflogen
war, griffen auch alle beherzt zu. Und der Kaffee, den Paul und Juanito zum allerersten Mal in ihrem Leben tranken, holte
ihre Lebensgeister endgültig zurück.
Dann war es Zeit aufzubrechen. Estébans Einbaum mit den beiden Patienten und seinem Bruder Paco tuckerte als Erstes davon.
Doch als Dr. Zernott gerade in das Boot steigen wollte, in dem bereits Oma Esmeralda Platz genommen hatte, zupfte Paul seinen Vater am
Hemd.
»Papa, ich muss dir noch etwas zeigen!«
Der Schlangenforscher war einen Moment lang verwirrt.
»Ja? Was denn?«
»Ich will es dir zeigen. Nicht erzählen. Komm mit!«
»Also gut. Und Esmeralda?«
Paul drehte sich zu seiner Oma um, die ein wenig erstaunt zu ihnen herübersah.
»Wir sind in spätestens einer Stunde zurück!«
»Aber …?«
»Erschreck die Krokodile nicht, Esmeralda, wir sind gleich wieder da!«
Als sich Dr. Zernott wieder seinem Sohn zuwandte, war der bereits losmarschiert.
»Na gut«, brummelte der Biologe in seinen struppigen Bart, »dann gehen wir eben los. Wollen doch mal sehen, was der Junge
auf dem Herzen hat.« Und dann lief er mit einem zugleich heiteren und neugierigen Gesichtsausdruck zügig hinterdrein.
Paul fand den Weg dieses Mal viel leichter. Zuerst bis zur Gabelung der beiden Pfade und dann das Inselufer entlang auf die
dicke Akazie zu. Die ganze Zeit über sprachen sie kein Wort. Paul überlegte verzweifelt, was er dem Vater erzählen sollte,
während Dr. Zernott sich voller Neugier nach allen Seiten umsah.
Als sie nur noch etwa hundert Meter von dem Baum entfernt waren, tauchten zum ersten Mal die Abdrücke einer sich windenden
großen Schlange auf dem Uferboden auf. Paul sah aus den Augenwinkeln, wie sein Vater bei ihrem Anblick erstaunt stehen blieb.
Als sich ihre Blicke trafen und Paul den ungläubig fragenden Ausdruck seines Vaters sah, nickte er nur – sein Vater hatte
begriffen! Schweigend gingen sie weiter.
›Hoffentlich ist sie da!‹, dachte Paul, ›Joe hat vier Tage vergeblich auf sie gewartet.‹
»Da!« Vater und Sohn hatten das riesige Tier gleichzeitig gesehen. Die Anakonda war
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