Das Versteck
BIS SAMSTAG TANZ / JOHNNY WILTONS BIG BAND. Newport war die reichste Stadt in weitem Umkreis, mit dem größten Privatjachthafen der Welt, und die meisten der piekfeinen Etablissements hatten eigene Anlegeplätze. Von der Wochenmitte an wurde der Parkplatz höchstwahrscheinlich bewacht, was für Vassagos Zwecke schlecht gewesen wäre, weil er keine potentiellen Zeugen gebrauchen konnte. Aber an einem regnerischen Montag war weit und breit kein Parkwächter zu sehen.
Er parkte neben der Bar, und während er den Motor abstellte, bekam er einen Anfall. Er hatte das Gefühl, einen leichten, aber anhaltenden Elektroschock zu erhalten. Seine Augen verdrehten sich, und er glaubte im ersten Moment, er hätte Krämpfe, weil er weder atmen noch schlucken konnte. Unwillkürlich stöhnte er auf. Der Anfall dauerte nur zehn oder fünfzehn Sekunden und endete mit einem Satz, der scheinbar in seinem Kopf gesprochen worden war: Etwas … ist … dort … draußen.
Ein zufälliger Gedanke, ausgelöst durch eine Art Kurzschluß im Gehirn, konnte es nicht sein, denn er hatte ganz deutlich eine Stimme gehört, mit Timbre und Modulation. Und nicht seine eigene Stimme. Die Stimme eines Unbekannten. Er hatte auch das überwältigende Gefühl, als wäre plötzlich außer ihm noch jemand im Wagen, als hätte ein Geist die Mauer zwischen den Welten durchdrungen, um ihn zu besuchen, ein fremdartiges Wesen, das zwar unsichtbar, aber nichtsdestotrotz real war. Dann endete die Episode so abrupt, wie sie begonnen hatte.
Er blieb eine Weile sitzen und wartete, ob sich der Anfall wiederholen würde.
Regen hämmerte aufs Dach.
Das Auto ächzte und knarrte leise, während sich der Motor abkühlte.
Was auch immer das gewesen sein mochte, es war jetzt vorbei.
Er versuchte das Vorgefallene zu begreifen. Waren diese Worte Etwas ist dort draußen eine Warnung gewesen, eine übersinnliche Vorahnung? Eine Drohung? Worauf bezogen sie sich?
Er konnte dort draußen hinter den Wagenfenstern beim besten Willen nichts Besonderes sehen. Nur Regen. Und schützende Dunkelheit. Der verzerrte Widerschein der Straßenlampen und Leuchtreklamen schimmerte auf dem nassen Pflaster, in den Pfützen und Rinnsteinen, die sich in Sturzbäche verwandelten. Auf dem Highway fuhren vereinzelte Autos vorbei, aber soweit er sehen konnte, war niemand zu Fuß unterwegs – und er sah nicht schlechter als jede Katze.
Schließlich beschloß er, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen. Früher oder später – zur richtigen Zeit – würde er sie bestimmt verstehen. Darüber zu grübeln war sinnlos. Falls es eine Drohung war, woher auch immer, störte sie ihn nicht. Er hatte vor nichts Angst. Das war das Beste daran, daß er die Welt der Lebenden verlassen hatte, auch wenn er vorübergehend im Grenzland diesseits des Todes gefangen war: Nichts auf der Welt vermochte ihn mehr zu schrecken.
Trotzdem gehörte jene innere Stimme zu den seltsamsten Dingen, die er je erlebt hatte. Und er verfügte über einen ziemlich umfangreichen Vorrat an seltsamen Erlebnissen, mit denen er die Episode vergleichen konnte.
Er stieg aus seinem silberfarbenen Camaro, schlug die Tür zu und ging auf den Eingang zu. Der Regen war kalt. Im tosenden Wind klapperten die Palmwedel wie morsche Knochen.
15
Lindsey Harrison lag ebenfalls im fünften Stock, am anderen Ende des Hauptkorridors. Als Jonas ihr Zimmer betrat und auf das Bett zuging, konnte er so gut wie nichts erkennen, denn hier gab es nicht einmal das grüne Licht eines EKG-Monitors. Die Frau war kaum zu sehen.
Er überlegte, ob er sie wecken sollte, und war überrascht, als sie fragte: »Wer sind Sie?«
»Ich dachte, Sie schliefen.«
»Ich kann nicht schlafen.«
»Hat man Ihnen kein Schlafmittel gegeben?«
»Es hat nichts geholfen.«
Wie im Zimmer ihres Mannes trommelte der Regen auch hier mit trotziger Wut ans Fenster. Jonas konnte hören, wie regelrechte Sturzbäche durch eine Aluminiumregenrinne donnerten.
»Wie fühlen Sie sich?« fragte er.
»Verdammt, wie soll ich mich schon fühlen?« Sie versuchte, ihre Worte zornig klingen zu lassen, war aber viel zu erschöpft und deprimiert, als daß es ihr gelungen wäre.
Er schob das Bettgitter hinunter, setzte sich auf die Kante der Matratze und streckte eine Hand aus, in der Annahme, daß ihre Augen besser an die Dunkelheit gewöhnt waren als die seinen. »Geben Sie mir Ihre Hand.«
»Wozu?«
»Ich bin Jonas Nyebern. Ich bin Arzt und möchte Ihnen etwas über Ihren Mann sagen, und
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