Das verstummen der Kraehe
wird nicht gerne gesehen. Das jedenfalls meinte Ben damals. Er hatte überlegt, sich bei einem Institut registrieren zu lassen und damit sozusagen die Zertifizierung für erstklassiges Sperma zu ergattern. Damit wollte er dann auf den freien Markt gehen. Die Freundin seiner Chefin hatte ihn mal darauf angesprochen, aber deren Partnerin war wohl dagegen. Das einzige Problem, das er bei dieser Geschäftsidee gesehen hat, war, an die entsprechenden Leute heranzukommen.«
Wie musste man gestrickt sein, um darin das einzige Problem zu sehen? Hatte Ben etwa keinen einzigen Gedanken an das Ergebnis seiner Geschäftsidee verschwendet? Dass mit seinem Sperma Kinder entstanden? Oder dass ohne eine Samenbank seine Anonymität nicht gewahrt sein würde? Hatte er auch nur einmal an die rechtlichen Konsequenzen gedacht? »Bedeutet das, er hat sich tatsächlich bei einer Samenbank registrieren lassen?«, fragte ich.
»Zumindest hat er es versucht. Aber soweit ich mich erinnere, ist aus seiner Idee nichts geworden.«
Kein Wunder, dachte ich. Die Vorschriften der Samenbanken hatten sich nicht geändert. Auch vor Jahren schon war Homosexuellen der Zugang verwehrt gewesen. Oder hatte Ben vorgegeben, heterosexuell zu sein? »Bist du sicher, dass daraus nichts geworden ist?«, hakte ich nach.
»Das war zumindest mein letzter Stand damals. Aber, wer weiß, ob das auch wirklich stimmt.«
»Du meinst, er hat dich angelogen?«
»Na ja, ich fand, er ging ziemlich leichtfertig mit dem Thema um, und daraus habe ich auch keinen Hehl gemacht. Wäre es nach Bens Vorstellungen gegangen, hätte er sich bei dieser Geschäftsidee keine Grenzen gesetzt. Er hätte auch für fünf Samenbanken gleichzeitig gespendet oder die unfruchtbaren Paare eines ganzen Stadtteils versorgt. Hauptsache, die Kohle hätte gestimmt.«
Ich spürte einen Kloß im Hals.
»Dein Bruder war ein Grenzgänger«, fuhr Matthias fort. »Die Frage nach der Ethik seines Handelns hat ihm keine schlaflosen Nächte bereitet. Positiv ausgedrückt, war Ben experimentierfreudig und neugierig.«
»Warum hast du mir vorher nie etwas davon erzählt?«
»Wovon? Von seiner Experimentierfreude?«
»Ich meine die Sache mit der Samenspende.«
»Kris, hast du eine Ahnung, wie viele Geschäftsideen Ben in seinem Kopf gewälzt hat? Er kam jede Woche mit einer neuen. Hätte ich dir etwa alle aufzählen sollen? Davon abgesehen, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das im Zusammenhang mit seinem Verschwinden stehen sollte.«
»Aber Ben hat genau wie ich jeden Monat Geld von meinen Eltern bekommen. Mit dem einen oder anderen Aushilfsjob hätte er damit eigentlich auskommen müssen. Ich verstehe das nicht.«
Matthias schwieg einen Moment. »Das Geld war das eine. Dazu kam der Kick, schlauer zu sein als andere.«
War das der Ben gewesen, den ich gekannt hatte? Einen Grenzgänger hatte Matthias ihn genannt, einen, der in beiden Welten zu Hause gewesen war. Ich musste an das denken, was Martin mir über Ben erzählt hatte. Die illegalen Machenschaften, in die er verstrickt gewesen war, und seine anschließende Informantentätigkeit. Ich konnte nicht länger so tun, als sei das nicht wahr, als würde meinem Bruder nur übel nachgeredet.
Ben war jemandem zum Opfer gefallen, da war ich mir ganz sicher. Er hatte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur als Hacker, sondern auch als Samenspender verdingt und hatte in jeder Situation versucht, das Beste für sich selbst herauszuholen. In welcher dieser Rollen hatte er sich einen Feind gemacht? Als Samenspender? Unwahrscheinlich, wenn es über eine Samenbank gelaufen war. Anonymität war dort eines der ehernen Gebote. Als Hacker? Möglich, dafür hätte er allerdings entlarvt werden müssen. War Konstantin Lischka bei seinen Recherchen auf Ben gestoßen und hatte ihn dann mit einem Gast des Abends in Verbindung bringen können? Reine Spekulation. Es gab keinen konkreten Hinweis darauf. Welche andere Möglichkeit gab es? Immer wieder die, dass die Verbindung durch Bens Homosexualität zustande gekommen war. Stimmte die Behauptung von Tilman Velte, Fritz Lenhardt habe homosexuelle Tendenzen gehabt, und hatte er die mit meinem Bruder ausgelebt?
Ich rief Nadja Lischka an und fragte sie unumwunden nach ihrem Eindruck. Spontan meinte sie, Fritz sei keinesfalls an Männern interessiert gewesen, um dann hinterherzuschicken, letztlich könne man für niemanden die Hand ins Feuer legen. Intuitiv bleibe sie zwar bei ihrem Nein, andererseits
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