Das verstummen der Kraehe
Samenspenden finanziell nicht lohnten und auch ganz bewusst nicht lohnen sollten. Je nach Menge und Qualität gab es pro Spende zwischen dreißig und siebzig Euro. Die eine Hälfte dieses Betrages, der als Aufwandsentschädigung gedacht war, erhielt der Spender nach Abgabe der Probe, die zweite Hälfte nach einem halben Jahr. Und das auch nur dann, wenn die Kontrolle des Spermas Infektionskrankheiten ausschloss. Über die Gesamtanzahl und die Häufigkeit der Spenden würde im Einzelfall entschieden.
Ich las weiter und scrollte zu der Stelle, an der etwas über die rechtliche Seite der ganzen Angelegenheit stand. Der Samenspender blieb gegenüber den zukünftigen Eltern anonym. Sie konnten keinerlei Ansprüche, vor allem keine Unterhaltsansprüche, an ihn stellen. Aber auch der Spender erfuhr nichts über die Eltern. Das Gleiche galt für die Kinder, die mit seinem Sperma gezeugt wurden. Allerdings hatten die Kinder von ihrem achtzehnten Lebensjahr an einen Anspruch darauf, von der Samenbank zu erfahren, wer ihr Erzeuger war. Und hier wurde es für mich besonders interessant, denn mit der Preisgabe der Identität des Erzeugers war es möglich, erbrechtliche Ansprüche an ihn zu stellen. Aber, schrieben die Verfasser der Seite, die Erfahrung habe gezeigt, dass nur in seltenen Fällen die Kinder überhaupt ein Interesse an der Identität ihres biologischen Vaters hätten.
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und fragte mich, wie ich in einer solchen Situation entschieden hätte. Die Antwort war eindeutig. Ich hätte den Mann wenigstens einmal sehen und mit ihm sprechen wollen. Hatte Ben sich über solche Fragen überhaupt Gedanken gemacht, als Robin ihn wegen der Samenspende gefragt hatte?
Ich las weiter, erfuhr von ausführlichen Vorgesprächen, von Typangleichung, damit der Spender dem unfruchtbaren Partner der Frau ähnlich sah, und vom eigentlichen Prozedere der Samenspende. Die optimale Samenspende kam zustande, wenn der letzte Samenerguss nicht mehr als zehn Tage zurücklag, der Spender jedoch vier Tage vor dem entscheidenden Termin keinen Samenerguss hatte. Das erinnerte mich an irgendetwas, das ich in den vergangenen Tagen gehört hatte, aber ich kam nicht gleich drauf, was es war. Und dann hatte ich es: »Bens enthaltsame Phase«, murmelte ich. »Genau das ist es.«
Gespannt las ich weiter. Um das Risiko zu senken, dass Geschwister unwissentlich eine Beziehung miteinander eingingen, sollten mit jedem Samenspender maximal zehn Kinder gezeugt werden. Jeder Spender erhalte eine Spendernummer, und nur die Ärzte des Instituts kannten seine wahre Identität.
Ich wechselte zu anderen Seiten, erfuhr, dass mit Spendersamen gezeugte Kinder Eiskinder genannt wurden und dass deren Akten bei den Ärzten unter Verschluss lägen. Bei Adoptivkindern lagerten die Akten bei den Jugendämtern. Staunend las ich, dass manche Samenbanken für sehr viel Geld Samen auch exklusiv verkauften und ihn somit nur an eine einzige Frau weltweit herausgaben. Und ich begriff, dass viele Spender ihren Samen nicht nur einem einzigen Institut zur Verfügung stellten. Damit konnte das Ganze durchaus zu einem Geschäft werden – zumindest für einen Studenten mit Anfang zwanzig und Blödsinn im Kopf.
Ich verließ das Internet und wählte Matthias Schützes Nummer in Berlin. »Wo erwische ich dich gerade?«, fragte ich Bens ehemaligen Mitbewohner, als er abnahm und ich im Hintergrund Kindergejohle und Stimmengewirr hörte.
»Auf dem Spielplatz.«
»Hast du nicht gesagt, dein Sohn zahne gerade erst?«
»Ich wollte ihm mal zeigen, welche Abenteuer noch auf ihn warten«, antwortete er mit trockenem Humor. »Bleib dran, ich verziehe mich mal ein Stück in den Park, da können wir ungestörter reden.«
Ich hörte ein Tor quietschen und die Geräuschkulisse abschwellen.
»So, jetzt«, meldete er sich zurück. »Was hast du auf dem Herzen?«
»Matthias, du hast doch gesagt, Ben habe dir vor seinem Verschwinden von einer enthaltsamen Phase erzählt. Hat er mit dir einmal über das Thema Samenspende geredet?«
»Nicht nur einmal.« Im Hintergrund war sein Baby zu hören, es brabbelte vor sich hin. »Wir haben uns damals immer mal wieder die Köpfe zerbrochen, wie man nebenher Geld verdienen könne. Ben schlug vor, Samen zu spenden. Das sei leicht verdientes Geld. Wo sonst würde man für ein bisschen Spaß mit sich selbst auch noch bezahlt?«
»Und ein lohnendes Geschäft, wenn man für mehrere Institute spendet …«
»Stimmt, aber das
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