Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
Vom Netzwerk:
habe sie in ihrem Leben schon viele Überraschungen erlebt. Diese Antwort half mir nicht weiter.
    Ich überlegte, wen von den fünf Erben ich noch darauf ansprechen konnte, und entschied, erst einmal einen anderen Weg einzuschlagen. Ich wählte die Nummer von Martins Handy. Nach dem zweiten Klingeln hörte ich seine Stimme.
    »Sehnsucht?«, fragte er.
    »Nein, eine Bitte.« Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
    »Schade. Worum geht’s?«
    Ich erklärte es ihm und wartete gespannt auf seine Reaktion.
    »Hol mich in zehn Minuten ab, dann fahre ich mit dir dorthin.«
    »Ich habe gerade kein Auto.«
    »Okay, dann bis gleich.«
    Das weiße Hemd zu den verschlissenen Jeans stand ihm gut. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt, sodass seine Unterarme zu sehen waren. Um sein rechtes Handgelenk trug er ein Wunschbändchen. Ich betrachtete sein Gesicht im Profil und fragte mich, was für ein Wunsch das sein mochte. Ich war mir sicher, dass er es bei unserer letzten Begegnung noch nicht getragen hatte. Es schien mir ratsam, diesen Gedanken nicht weiterzuverfolgen.
    Martin war ein guter Fahrer, er fuhr zügig über die Autobahn, gleichzeitig sehr umsichtig und überraschend rücksichtsvoll, verlangsamte sogar mehrmals das Tempo, um andere einscheren zu lassen.
    »Fährst du immer so?«, fragte ich ihn, als er die Ausfahrt nach Markt Schwaben nahm.
    »Untypisches Balzverhalten verspricht angeblich den größten Erfolg. Ich befinde mich gerade in der Testphase.« Er grinste, ohne den Blick von der Straße zu wenden. »Und bist du im Auto immer so wortkarg?«
    »Ich habe dich gerade erst etwas gefragt«, verteidigte ich mich.
    »Nachdem du fast eine Viertelstunde geschwiegen hast.«
    »Du hättest auch etwas sagen können.«
    »Was ich zu sagen habe, willst du bestimmt nicht hören.« Sein Grinsen verbreiterte sich noch.
    Wollen schon, dürfen nein, dachte ich im Stillen und sah aus dem Seitenfenster.
    »Siehst du, jetzt schweigst du wieder«, sagte er nach einer Weile.
    »Ich denke nach.«
    »Weißt du, was ich glaube? Dir würde es ganz bestimmt guttun, etwas weniger zu denken.«
    Für einen Moment trafen sich unsere Blicke, bevor ich wieder aus dem Seitenfenster sah. Wir passierten den Ortseingang von Markt Schwaben nun schon zum zweiten Mal. »Weißt du, was ich denke? Du bist einer von diesen notorischen Flirtern.«
    »Und davor hast du Angst, stimmt’s?«
    »Ich bin nicht sehr ängstlich. Außerdem habe ich einen guten Orientierungssinn. Du fährst im Kreis.«
    »Genau genommen war es ein Rechteck.« Er bog rechts ein und dann wieder links. Nach hundert Metern stellte er den Motor aus.
    Wir standen am Zaun eines kleinen Einfamilienhauses mit spitzem Dach und alten Fenstern. Die mit Geranien überquellenden Blumenkästen waren eine einzige Pracht. Im Vorgarten schaukelte ein kleines Mädchen, als ginge es darum, einen Rekord aufzustellen. Das rhythmische Knarren der Hanfseile mischte sich mit dem Gezwitscher der Vögel. Neben der Schaukel lag eine getigerte Katze im Gras und leckte sich das Fell.
    Martin drückte die Klingel der Leitners. Es dauerte einen Moment, bis die Haustür aufging und eine gut gebaute Enddreißigerin mit blond gefärbten Haaren öffnete und uns zurief, wir sollten das Gartentor fest hinter uns schließen. Es klemme ein wenig.
    Britta Leitner hatte einen festen Händedruck und einen offenen Blick. Sie begrüßte Martin wie einen alten Bekannten. Die Sympathie, die sie ihm gegenüber zu hegen schien, übertrug sie glücklicherweise auf mich. Das erleichterte die Sache. Sie bat uns in ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer mit viel Holz und warmen Farben. In Fensternähe standen ein Bügelbrett und ein bis oben gefüllter Wäschekorb. Ein Hemd lag halb gebügelt auf dem Brett. Sie ging hin und schaltete das Bügeleisen aus.
    »Wie ich schon am Telefon angedeutet habe«, begann Martin, »hat Frau Mahlo ein paar Fragen an Sie zu Fritz Lenhardt.«
    Sie hatte die Hände in die Hüften gestützt und sah zwischen uns beiden hin und her. »Ich hole uns erst einmal etwas Gescheites zur Stärkung. Da redet es sich leichter.«
    Sie schien schon alles vorbereitet zu haben, denn kaum eine Minute später kam sie mit einem Tablett zurück, auf dem Kaffeekanne, Becher und ein Teller mit Muffins standen. »Selbst gebacken«, erklärte sie überflüssigerweise. Der Duft frisch gebackenen Kuchens hatte uns bereits im Flur empfangen. Sie stellte das Tablett auf den runden Holztisch, der an einigen Stellen mit

Weitere Kostenlose Bücher