Das verstummen der Kraehe
Institut Samen gespendet hat.«
»Das hätte doch einen Skandal gegeben und dem Institut und uns allen geschadet. Es wäre niemandem damit gedient gewesen, wenn herausgekommen wäre, dass ein Schwuler …« Sie rang ihre Hände und blickte zu Boden. »Doktor Lenhardt hat dafür gesorgt, dass der restliche Samen Ihres Bruders sofort vernichtet wurde.«
Ich gab mir Mühe, die nächste Frage nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen. »Und als mein Bruder spurlos verschwunden war und nach ihm gesucht wurde, da …«
Sie schüttelte den Kopf, als spüre sie meine Anspannung und versuchte mich zu beschwichtigen. »Er war ja schon ein halbes Jahr lang vor seinem Verschwinden nicht mehr im Institut aufgetaucht. Insofern war das alles Schnee von gestern und nicht mehr relevant.«
Das klang nicht nach ihrer eigenen Wortwahl. »Hat Doktor Lenhardt das so ausgedrückt?«
Sie setzte sich wieder zu uns. »Nein, Frau Doktor Angermeier.«
Einen Moment lang saß ich mit offenem Mund da. Sie hatte also gewusst, dass Ben für das Institut gespendet hatte, und hatte es mit keiner Silbe erwähnt. »Hat Herr Doktor Angermeier auch etwas dazu gesagt?«
»Er hat uns allen klargemacht, dass unsere Arbeitsplätze gefährdet seien, wenn etwas davon nach außen dringe.« Sie biss sich auf die Unterlippe, als habe sie noch immer ein schlechtes Gewissen. »Und damit hatte er schließlich recht. Ihrem Bruder hätte es nichts genutzt, wenn wir damit zur Kripo gegangen wären. Herr Doktor Angermeier meinte, wenn jemand verschwindet, glaubt jeder, seinen Senf dazugeben zu müssen. Die Polizei würde überschwemmt mit völlig unwichtigen Informationen, die sie nur von ihrer Suche nach wirklich wichtigen Hinweisen ablenke. Das hat uns allen eingeleuchtet.«
So konnte man die Sache natürlich auch betrachten, dachte ich mit einem Anflug von Sarkasmus und warf Martin einen schnellen Blick zu. Ihm schien ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf zu gehen.
»Jetzt muss ich aber wirklich«, sagte Britta Leitner, strich sich über die Oberschenkel und machte Anstalten aufzustehen.
Ich beugte mich zu ihr. »Es tut mir leid, dass wir Sie so sehr in Beschlag nehmen mussten. Darf ich trotzdem noch eine Frage loswerden?«
»Wenn es schnell geht …«
»Es hat einmal eine Anschuldigung gegen Herrn Doktor Angermeier gegeben. Wissen Sie etwas davon?«
Sie wirkte erleichtert, dass es nicht mehr um Fritz Lenhardt ging, setzte sich aufrecht hin und senkte die Schultern. Es sah ein wenig so aus, als vollführe sie eine gymnastische Übung. »Das ließ sich ja gar nicht geheim halten.« Sie überlegte. »Es ist jetzt um die acht Jahre her. Eine schlimme Sache, wenn Sie mich fragen. Wir haben damals alle die Luft angehalten. Gar nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn die Patientin die Wahrheit gesagt hätte.« Britta Leitner sah zwischen uns beiden hin und her und schien sich vergewissern zu wollen, dass wir begriffen, welches Damoklesschwert damals über dem Institut gehangen hatte. »Aber zum Glück hat es diesen Zeugen gegeben, mit dem Doktor Angermeier zur angeblichen Tatzeit unterwegs war. Er konnte also gar nicht in der Praxis gewesen sein.«
Wäre das Thema nicht so ernst gewesen, hätte ich geschmunzelt. Für Fritz Lenhardt würde seine ehemalige Angestellte immer noch die Hand ins Feuer legen. Und das, obwohl es so viele Beweise gegeben hatte, die für seine Schuld sprachen. Im Fall von Christoph Angermeier hingegen hielt sie sich an den einzigen Beweis, den es für seine Unschuld gab: den Zeugen Tilman Velte.
»Als Sie damals von dem Vorwurf gegen Doktor Angermeier hörten, was war da Ihr erster Gedanke?«
»Mein erster Gedanke? Oje, das ist so lange her. Wie soll ich mich jetzt noch daran erinnern, was ich gedacht habe?«
In diesem Moment kam ihre Tochter herein und verkündete, dass sie Durst habe. Britta Leitner stand auf und ging mit ihr in die Küche. Wir hörten die beiden reden. Kurz darauf kamen sie gemeinsam zurück ins Wohnzimmer. Die Kleine kletterte auf einen Stuhl und bekam von ihrer Mutter ein Glas mit Apfelschorle.
»Hat Sie der Vorwurf überrascht?«, fragte Martin.
»Ich fand ihn ganz grässlich. Bis dahin hatte ich gedacht, so etwas gäbe es nur in Filmen.«
»Das heißt, Sie hätten Herrn Doktor Angermeier eine sexuelle Nötigung nicht zugetraut?«
»Hätte ich ihm so eine Schweinerei zugetraut, hätte ich ganz bestimmt nicht für ihn gearbeitet.«
17
Vor genau einer Woche hatte ich mit den fünf Erben zusammengesessen und
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