Das verstummen der Kraehe
Solch eine Gelegenheit ergibt sich so schnell nicht wieder. Der Winzer hat ganz wunderbare Weine. Gleich neben dem Weingut steht ein kleines, romantisches Hotel. Ich habe dort ein Zimmer für uns reserviert. Wir könnten endlich mal wieder zusammen ausschlafen …«
Henrike räusperte sich, sagte, sie würde mal kurz eine Zigarette rauchen gehen, und verschwand hinter der Scheune.
Ich legte meine Arme um Simon und näherte meinen Mund seinem Ohr. »Wir beide haben noch nie zusammen ausgeschlafen.«
»An mir liegt das ganz bestimmt nicht.« Es klang traurig, wie er es sagte.
Ich umschlang ihn fester und hielt ihn einen Moment so. »Es tut mir leid, Simon, aber ich kann nicht mitkommen.«
»Was ist wichtiger? Diese Testamentsvollstreckung? Kris, ich verstehe dich nicht. Das eilt doch nicht.«
Simon war nicht auf dem Laufenden, und das war meine Schuld. Ich hatte ihm zu viel verschwiegen, was diesen Fall betraf. Wie sollte ich ihm zwischen Tür und Angel erklären, dass eine Erklärung für Bens Verschwinden möglicherweise in greifbare Nähe gerückt war? »Simon«, sagte ich sanft, »ich muss diese Frau treffen. Sie hat nur heute Nachmittag Zeit. Danach ist sie für die nächsten Wochen verreist.« Die Lüge kam mir leicht über die Lippen. Aus jahrzehntelanger Erfahrung wusste ich, dass diese Strategie effektiver war als endlose Erklärungsversuche.
»Schade«, gab er sich geschlagen. »Ich hätte dich gerne dabeigehabt.«
»Wir holen das nach. Versprochen.«
Er nahm meinen Kopf in die Hände und sah mir lange in die Augen. »Du bedeutest mir sehr viel, Kris, vergiss das nicht.«
Simon hatte mir noch nie eine Liebeserklärung gemacht. Warum ausgerechnet jetzt? Ich sah ihn irritiert an.
Er berührte meine Lippen mit seinen und ließ sie dann zu meinem Ohr wandern. »Ich bin am Sonntag zurück. Vielleicht könnten wir dann im Langwieder See schwimmen gehen, was meinst du?«
Ich musste lachen. »Hast du nicht mal gesagt, Schwimmen sei etwas für Senioren und du würdest frühestens als Achtzigjähriger damit anfangen?«
»Ich wollte mich nur vergewissern, dass du tatsächlich nichts vergisst.«
Der Feierabendverkehr verstopfte wie immer die Straßen, sodass wir von Obermenzing bis zur Fürstenrieder Straße fast eine halbe Stunde brauchten. Und das, nachdem wir ohnehin schon zu spät losgefahren waren. Zum Glück fanden wir sofort einen Parkplatz auf der institutseigenen Fläche.
Das Kinderwunschinstitut Angermeier war in der obersten Etage eines unscheinbaren, sechsstöckigen Gebäudes untergebracht. Henrike und ich nahmen den Aufzug, der innen auf einer Seite komplett verspiegelt war. Wir nutzten die Gelegenheit für einen kleinen Check. Henrike fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und wischte einen Wimperntuschefleck unter dem linken Auge fort. Ich fasste meine Haare mit einer Hornspange zusammen und legte farblosen Lipgloss auf. Im Spiegel zwinkerten wir uns zu.
»Dann auf in den Kampf«, sagte Henrike mit einem Schmunzeln, als ein leises Pling unsere Ankunft im sechsten Stock anzeigte.
Wir betraten das Institut durch eine Glastür, hinter der uns eine pastellige Ästhetik empfing. Hier war alles zum Wohlfühlen erdacht – die Farben genauso wie die Formen. Die Wände waren fliederfarben gestrichen, Plastiken schwangerer Frauen standen dezent verteilt. Eine Wand des Entrees war über und über mit Babyfotos bedeckt. Das war die Wand, die von den Erfolgen des Instituts erzählte. Einem Impuls folgend, stellte ich mich davor und hielt nach Babys Ausschau, die Ben ähnelten.
»Kann ich Ihnen helfen?« Die Stimme kam vom Empfang.
»Wir haben einen Termin bei Frau Doktor Angermeier«, sagte Henrike.
Ich drehte mich um und stellte mich neben sie. Die äußerst gepflegte Brünette im lachsfarbenen Hosenanzug schaute uns fragend an.
»Kristina Mahlo«, stellte ich mich vor.
Sie sah zwischen uns beiden hin und her und senkte ihren Blick dann auf ihren PC. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Ich habe keinen Termin für Sie vermerkt. Sind Sie sicher …?«
»Ich habe den Termin vorhin telefonisch direkt mit Frau Doktor Angermeier ausgemacht. Sie weiß Bescheid.«
»Verstehe.« Sie griff zum Hörer und drückte zwei Ziffern. Während sie wartete, betrachtete sie ihre langen, lackierten Nägel. »Nicole vom Empfang«, meldete sie sich. »Frau Mahlo ist hier, sie sagt, sie …«
»Ja, ich bringe sie zu Ihnen.« Sie legte auf und gab uns ein Zeichen, ihr zu folgen.
Henrike und ich waren es
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