Das verstummen der Kraehe
sie unter anderem nach meinem Bruder gefragt. Jeder einzelne von ihnen hatte versichert, Ben entweder noch nie oder lediglich auf den Plakaten gesehen zu haben. Ob die Angermeiers ihn jemals im Institut zu Gesicht bekommen hatten, war fraglich. Aber wie ich inzwischen mit Sicherheit wusste, war beiden bekannt, dass er für das Institut als Samenspender gearbeitet und mit Fritz Lenhardt zu tun gehabt hatte. Sie hatten mich angelogen.
In welchem Licht erschien nun der Satz Ich hab dich mit Ben Mahlo gesehen ? Laut Beate Angermeier hatte Konstantin Lischka den Satz in abgewandelter Form an jenem Abend zu Fritz Lenhardt gesagt. Es sei um das Schäferstündchen gegangen, bei dem der befreundete Journalist sie und ihren Institutspartner zwei Tage vor dem Mord überrascht habe. Britta Leitner hatte die beiden allerdings bereits ein Vierteljahr vor dem Mord zusammen erwischt. Entweder, die Affäre hatte sich über mehrere Monate hingezogen, und sie waren zweimal überrascht worden, oder Beate Angermeier hatte eine Lüge mit Wahrheit vermischt. Hatte sie die Vergangenheit kurzerhand umgeschrieben, Konstantin Lischka gegen ihre Angestellte vertauscht und den Zeitpunkt, zu dem die Affäre entdeckt worden war, nach hinten verschoben?
Und wenn ja, warum war es ihr so wichtig, von Ben abzulenken? Um ihr Institut zu schützen? Damit es nicht in den Ruf geriet, die Samenspender schludrig auszuwählen? Oder ging es allein ums Erbe? War das Geld für sie ein so gewichtiger Grund, den Fokus scheinbar ohne Not auf sich selbst zu richten und gleichzeitig Fritz Lenhardt ein weiteres Mordmotiv unterzuschieben? Und nicht zuletzt: Wie passte Tilman Veltes Hinweis auf Fritz Lenhardts homosexuelle Tendenzen da hinein?
Mit all diesen Fragen bestürmte ich Henrike, als sie am frühen Nachmittag endlich in ihrem Trödelladen auftauchte. Sie war ratlos und konnte genau wie ich nur spekulieren. Um die Anzahl der Fragezeichen zu reduzieren, beschlossen wir, Beate Angermeier noch vor dem Wochenende einen Besuch abzustatten. Ich rief sie im Institut an, sagte, mir wäre bewusst, dass es Freitagnachmittag sei, ich hätte jedoch ein paar dringende Fragen zu klären, und bat sie, in jedem Fall dort auf uns zu warten. Sie versuchte mich auf die kommende Woche zu vertrösten. Nach einer anstrengenden Woche habe sie endlich die Möglichkeit, das Institut früher zu verlassen, und die wolle sie nutzen. Also schlug ich vor, sie gegen Abend zu Hause zu besuchen, aber das schien ihr noch weniger zu gefallen. Widerstrebend willigte sie schließlich ein.
Wir wollten gerade in meinen Wagen steigen, den Arne aus der Werkstatt geholt und auf dem Parkplatz abgestellt hatte, als Simon winkend auf uns zugelaufen kam. Rosa sprang aufgeregt bellend neben ihm her.
»Wie gut, dass ich dich noch erwische, Kris! Ich habe ganz kurzfristig eine Einladung in die Pfalz bekommen. Einer meiner Lieblingswinzer veranstaltet heute Abend eine Weinprobe. Ich habe schon alles geregelt. Arne springt heute Nachmittag und morgen hier für mich ein. Wir könnten in einer halben Stunde aufbrechen.« Er sah mich in freudiger Erwartung an. Als ich nicht gleich reagierte, versuchte er mir den Ausflug schmackhaft zu machen. »Du hast so lange keinen freien Tag gehabt. Es würde dir guttun, mal hier rauszukommen und etwas anderes zu sehen als verwaiste Haushalte und gierige Erben. Was meinst du?«
Es tat mir weh, ihn zu enttäuschen. »Das geht nicht, Simon. Henrike und ich haben einen wichtigen Termin.«
»Verschieb ihn.«
»Es war schon schwierig genug, ihn überhaupt zu bekommen.«
Er wandte sich an Henrike. »Kannst du nicht allein hinfahren?«
Sie schüttelte den Kopf. »Leider nein.«
Simon stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Einen Moment lang betrachtete er mich stumm. Dann nahm er meine Hand. »Wir haben so selten die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Wochenende, Kris …«
»Das liegt aber nicht nur an mir, Simon, sondern auch daran, dass du an den meisten Samstagen in deinem Laden stehst und sonntags groggy bist. Das ist auch völlig in Ordnung, aber …«
»Du hast keinen Laden, vor dem samstags die Kunden stehen«, unterbrach er mich. »Du bist viel flexibler. Jedenfalls könntest du das sein.« Er trat vor mich und strich mir zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Oder muss ich erst zur Nachlasssache werden, um deine Aufmerksamkeit zu bekommen?«
Ich knuffte ihn leicht in die Seite. »Sag so etwas nicht einmal im Scherz!«
»Kris, bitte, komm mit!
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