Das verstummen der Kraehe
nicht mehr hörte. Der zweite Satz hatte einen unangenehmen Beigeschmack, damit wollte ich nichts zu tun haben.« Es schien sie zu erleichtern, darüber reden zu können. Sie trank einen Schluck Wasser und drehte das Glas zwischen den Händen.
»Wie war die Situation, als Sie zu den anderen zurückgingen?«
»Was meinen Sie damit?«
»Waren alle im Raum? Saßen sie, standen sie? Gab es Grüppchen? Fehlte jemand? Wirkte jemand ungewöhnlich angespannt? Können Sie sich daran vielleicht noch erinnern?«
»Wäre der Mord nicht geschehen, könnte ich das sicher nicht. Aber nachdem Konstantin tot war, habe ich mir immer wieder jedes Detail dieses Abends vor Augen geführt.« Sie schloss für Sekunden die Augen. »Die meisten saßen, Theresa und Beate standen und lachten über irgendetwas. Konstantin saß neben seiner Frau. Nadja hatte sich gerade eine Zigarette in den Mund gesteckt, er gab ihr Feuer. Mein Mann und Christoph sprachen über den Rotwein. Christoph war begeistert davon, Tilman fand ihn zu schwer. Konstantin meinte, ihm könne er gar nicht schwer genug sein. Er hob sein Glas und betonte, jetzt gehe es wieder aufwärts mit ihm.«
»Wen hat er dabei angesehen?«, fragte ich leise.
»Nadja. Er sah sie freudestrahlend an und gab ihr einen Kuss. Als hätte er an dem Tag einen lukrativen Auftrag erhalten oder etwas in der Art.«
»Oder als hätte er eine lukrative Erpressung in die Wege geleitet«, meinte Henrike. »Wo befand Fritz Lenhardt sich zu dem Zeitpunkt?«
»Er kam ein paar Minuten später mit zwei Rotweinflaschen und sagte, er habe in seinem Weinkeller zwei Schätze für uns ausgegraben. Er sah in dem Moment irgendwie fertig aus, blass. Theresa war es auch aufgefallen, sie machte sich Sorgen um ihn. Fritz sagte, er habe den Wein zu schnell getrunken. Ich war mir ganz sicher, dass Konstantin im Flur mit ihm gesprochen hatte und ihm das auf den Magen geschlagen war. Deshalb habe ich es in der Gerichtsverhandlung auch verschwiegen. Es hätte nichts an Fritz’ Verurteilung geändert.«
»Haben Sie nach dem Abend nie einen der anderen gefragt, wer kurz vor Ihnen zurück ins Esszimmer gekommen war?«
»Von Konstantin wusste ich, dass er vor mir das Zimmer betreten hatte, er saß schließlich schon wieder am Tisch, als ich zurückkam. Ja, und dann kam Fritz herein und war ganz blass. Wieso hätte ich da die anderen noch befragen sollen? Es war eindeutig.«
»Hätte es Ihrer Meinung nach denn zu Konstantin Lischka gepasst, Fritz Lenhardt auch noch zu erpressen, nachdem er ihn schon um eins Komma acht Millionen gebracht hatte?«, fragte ich. »Um so etwas zu tun, muss jemand ziemlich skrupellos sein.«
Wieder sah sie in den Garten. »Konstantin saß auf einem Berg von Schulden.« Sie schien sich zu diesem Satz durchgerungen zu haben, dann schwieg sie.
»Eine andere Frage«, nahm ich das Gespräch wieder auf. »Warum haben Sie sich bei unserem ersten Treffen in meinem Büro von den anderen verunsichern lassen?«
»Weil mich da auf einmal drei Augenpaare ansahen, als hätte ich ein Kapitalverbrechen begangen. Es …«
»Wer sah Sie so an?«, fragte Henrike dazwischen. »Die Angermeiers und Nadja Lischka?«
Sie nickte. »Mein Mann ganz bestimmt nicht«, schickte sie mit einem schiefen Lächeln hinterher.
»Ich habe Sie eben unterbrochen«, sagte Henrike. »Was hatten Sie noch sagen wollen?«
»Nur, dass mir das Ganze nicht wichtig genug war, um deswegen mit den anderen einen Streit vom Zaun zu brechen.«
»Und deshalb haben Sie sich letztlich von Ihrer Überzeugung verabschiedet?«, fragte ich.
Sie kaute auf ihrer Oberlippe herum und atmete ein, als laste ein Gewicht auf ihrer Brust. Dann goss sie sich Wasser nach und füllte auch unsere Gläser auf. »Nach unserem ersten Treffen bei Ihnen hat mein Mann mich auch gefragt, warum ich mich hätte verunsichern lassen. Wir sind dann gemeinsam noch einmal alles durchgegangen. Und da ist mir bewusst geworden, dass ich durch Ihre Plakataktion so oft den Namen Ihres Bruders gelesen hatte. Ich habe selbst einen Bruder und musste immer daran denken, wie es wäre …« Sie verstummte und sah mich an, als wolle sie prüfen, wie viel sie mir zumuten konnte. »Um es kurz zu machen: Das Verschwinden Ihres Bruders hat mich damals sehr beschäftigt, und deshalb schwirrte sein Name dauernd in meinem Kopf herum. Glatte Fehlleistung.«
»Und als Sie dann hörten, was Konstantin Lischka laut Ihrer Freundin Beate tatsächlich gesagt haben soll, waren Sie da
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