Das verstummen der Kraehe
ein Kind adoptiert. Will dein Simon keine Kinder?«
»Trifft in etwa ins Schwarze.«
Ihr Blick war voller Mitgefühl. »Oje. Was für ein Jammer. Er ist wirklich ein bisschen mehr als nett.« Sie runzelte die Stirn und dachte nach. »Meine Mutter ist der Überzeugung, Männer bräuchten für fast alles ein bisschen länger. Vielleicht braucht Simon einfach noch Zeit.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob Zeit da hilft.«
»Was ist mit dem steten Tropfen?«
»Wirkt bei ihm auch nicht.«
»Und was ist mit dem Mann, der neulich hier war? Ich meine den, der …«
»Ich weiß, wen du meinst«, unterbrach ich sie. »Aber so kann ich das Problem nicht lösen.«
»Du könntest schon«, sagte sie mit einem frechen Grinsen. »Solange ihr nicht verheiratet seid …«
»Simon ist nicht der Typ, der heiratet.«
»Es heißt ja, dass man sich unterbewusst einen Partner aussucht, der mit den eigenen Vorstellungen vom Leben harmoniert. Irgendetwas muss da bei dir schiefgelaufen sein, Kristina.«
»Danke, Funda. Damit hilfst du mir wirklich weiter. Bei deinem Einstellungsgespräch muss auch etwas schiefgelaufen sein, ich erinnere mich nämlich nicht daran, dass du bedingungslose Offenheit als eine deiner Schwächen genannt hast.«
Sie zwinkerte mir zu. »Ich wollte den Job.«
Obwohl es kühl war, setzten Henrike und ich uns auf die Bank in meinem kleinen Vorgarten. Ich zog meinen Pulli an, während sie sich ein großes Tuch um den Oberkörper schlang.
»Alfred ist seit vorgestern nicht mehr hier gewesen. Bisher hat er keinen Tag ausgelassen.«
»Vielleicht ist gerade Paarungszeit.«
»Im September?«
»Oder er hat das Stadtleben satt und macht eine Landpartie.«
»Ich mache mir wirklich Sorgen, Henrike.«
»Alfred ist ein Wildtier«, sagte sie, als würde das irgendetwas erklären.
»Ich hätte mich nie an ihn gewöhnen dürfen.« Und ich durfte nicht daran denken, dass es Menschen gab, die Krähen am liebsten tot sahen.
»Mach dir keine Sorgen, Kris, morgen ist er bestimmt wieder da. Wie hast du eigentlich den Überfall im Park verkraftet?« Behutsam legte sie mir eine Hand auf die Schulter.
»Die letzten Tage sind nur so dahingerauscht, ich hatte kaum Zeit, darüber nachzudenken.«
»Weißt du, was Flashbacks sind?«
»Mich überfallen keine Bilder.«
»Und was ist mit deinem Nacken?«
»Der entspannt sich ganz allmählich. Nur meine Angst im Dunkeln hat sich noch nicht verflüchtigt. Wenn ich morgens im Dunkeln über den Hof laufe, nehme ich mir jedes Mal ein Messer von Simon mit.«
»Deshalb hat er sie vermisst«, sagte sie schmunzelnd, um gleich darauf wieder ernst zu werden. »Lass das mit den Messern, Kris, das ist viel zu gefährlich! Im Zweifel kann dein Gegenüber damit viel besser umgehen als du und ist auch entschlossener. Nimm nie eine Waffe mit, die gegen dich gerichtet werden könnte, hörst du? Der beste Schutz für Leute, die mit Waffen nicht trainiert und versiert sind, ist immer noch, laut zu schreien und schnell zu laufen.«
»Damit hätte ich im Park wirklich unglaublich gut punkten können«, entgegnete ich trocken. »Mir wurde der Mund zugehalten, und ich wurde von den Beinen gerissen.«
»Hättest du ein Messer oder eine andere Waffe dabeigehabt, wärst du vielleicht nicht so glimpflich davongekommen. Wenn man es noch nie erlebt hat, fällt es schwer, sich vorzustellen, wie schnell einem jemand eine Waffe entwinden kann. Wenn du unbedingt etwas mitnehmen willst, besorg dir einen Personenalarm. Das ist ein kleines Teil, das einen Höllenlärm macht, wenn du den Kontakt herausziehst.«
»Hast du so ein Teil?«
In ihren Augen blitzte es. »Hätte ich Angst im Dunkeln, hätte ich eines.«
»Wie weit bist du eigentlich mit deinem Krimi?«
»Ich stecke noch in der Recherchephase.«
»Welches Thema?«
»Wird nicht verraten.« Mit zwei Fingern machte sie eine Bewegung, als verschließe sie ihre Lippen. »Außerdem stecke ich doch gerade metertief in deinem Krimi. Ich habe viel über dieses Gespräch gestern nachgedacht. Wenn …«
»Henrike«, unterbrach ich sie, »solltest du vorhaben, hier irgendwann von einem Tag auf den anderen zu verschwinden, und das womöglich noch ohne eine Erklärung, würde ich dir das nicht verzeihen. Ich bin ein gebranntes Kind, und ich würde umkommen vor Sorge.«
»Wie kommst du darauf, ich könnte verschwinden?«
»Du bist schließlich auch aus Kiel verschwunden und hast alles hinter dir gelassen, um hier neu anzufangen.«
Einen Moment lang kam es mir
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