Das verstummen der Kraehe
vor, als würde Henrike mir die Tür zu ihrer Vergangenheit einen Spaltbreit öffnen. Sekunden später war sie bereits wieder geschlossen. »Ich bin hier angekommen.«
»Ich kann nicht noch jemanden verlieren.«
»Ich weiß.« Sie drückte meine Hand. »Wollen wir dann jetzt arbeiten?« Ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Also, ich habe über gestern nachgedacht. Wenn du mich fragst, führt alles immer wieder zu der Frage, wen Konstantin Lischka an dem Geburtstagsabend auf Ben angesprochen haben könnte. Theresa Lenhardt können wir ziemlich sicher ausschließen. Und ihren Mann lassen wir für den Moment mal außen vor. Nadja Lischka können wir, was Ben angeht, streichen. Der Journalist wird wohl kaum seine Ehefrau erpresst haben. Wenn aber die Angermeiers ihr Institut durch die Entdeckung von Bens Homosexualität nicht bedroht sahen, bleiben nur die Veltes. Wobei ich mich bei den beiden mit einem Motiv schwertue. Bei ihr tappe ich in Bezug auf Ben völlig im Dunkeln. Bei ihm käme natürlich eine verdeckte Homosexualität infrage. Oder aber er hat Ben als Hacker engagiert, um eine Betrügerei durchzuziehen.«
»Und hätte den Mord an dem Journalisten begangen?«
»Möglich. Aber solange unklar ist, worum es da tatsächlich ging, ist alles reine Spekulation. Wir wissen nur eines: Wer immer Konstantin Lischka umgebracht hat, musste Zugang zur Tatwaffe gehabt haben. Und wenn es Fritz Lenhardt nicht selbst war, hat ihn entweder jemand eiskalt geopfert – sozusagen als Kollateralschaden –, oder auch er sollte für etwas büßen. Was hältst du davon, wenn wir den Veltes einen kleinen Besuch abstatten?«
»Genau das wollte ich auch gerade vorschlagen.«
Wir verabschiedeten uns von Funda. Während ich direkt zu meiner alten Gurke ging, lief Henrike über den mit Autos zugeparkten Hof zu Simons Weinladen, wo Arne an diesem Tag vertretungsweise Beratung und Verkauf übernommen hatte.
»Und?«, fragte ich, als sie mit geröteten Wangen zurückkehrte und sich in den Sitz fallen ließ.
»Als hätte er nie etwas anderes gemacht. Er hat mir zugeflüstert, wer Autos verkaufen könne, für den sei Wein ein Klacks. Ich habe ihm das Versprechen abgenommen, Simon diese Erkenntnis nur leicht modifiziert mitzuteilen.«
Das von einer dichten Eibenhecke umgebene und dem Bauhausstil nachempfundene Haus der Veltes lag in einer Villengegend von Gräfelfing. Wir liefen über eine Auffahrt aus terrakottafarbenen Pflastersteinen, die ein kleines Vermögen gekostet haben mussten, im Verhältnis zum Gesamtobjekt aber vermutlich kaum ins Gewicht gefallen waren. Auf unserem Weg begleiteten uns zwei Kameras. Ich drückte den Klingelknopf und fragte mich, wieso Tilman Velte es so eilig mit der Erbschaft hatte. Aber diese Frage hätte ich mir genauso gut bei den Angermeiers stellen können. Außer Nadja Lischka war finanziell wohl keiner der Freunde auf Theresa Lenhardts Erbe angewiesen.
Als nichts geschah, drückte Henrike den Klingelknopf noch einmal. Währenddessen versuchte ich dieses Anwesen mit seinen Besitzern in Einklang zu bringen. Bei Tilman Velte gelang mir das problemlos, bei seiner Frau sperrte sich etwas dagegen. Anders als ihr Mann wirkte sie bescheiden und bodenständig auf mich. Ich hätte sie eher in einem alten Haus voller Charme und zugiger Fenster angesiedelt als inmitten dieses mindestens dreihundert Quadratmeter umfassenden Perfektionsbaus.
Verschwitzt und außer Atem öffnete sie die Tür. »Hallo«, begrüßte sie uns und streifte sich die erdigen Gartenhandschuhe von den Händen. »Entschuldigung. Haben Sie es schon öfter versucht? Ich war hinten im Garten, da höre ich die Klingel kaum.«
»Wir müssen uns entschuldigen«, sagte ich, »immerhin überfallen wir Sie am Wochenende.«
»Kein Problem. Kommen Sie herein.« Sie lotste uns durch eine Eingangshalle mit offenem Treppenhaus und modernen Plastiken in Mauernischen. Mitten in einem fast ebenso großen Raum blieb sie stehen und deutete auf eine weiße Sitz- und Sofaecke, an die sich ein Kamin anschloss. Unter der Sitzbank war das Kaminholz gestapelt. »Ich wasche mir nur schnell die Hände, ich war gerade dabei, ein neues Beet anzulegen. Mögen Sie etwas trinken?«
»Gerne ein Wasser«, antwortete ich.
»Für mich auch, bitte«, schloss Henrike sich an.
Während die Hausherrin sich davonmachte, wanderten unsere Blicke durch die weit geöffnete Terrassentür in den Garten. Für mein Empfinden war er ein Kunstwerk, was bei Rena Veltes
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