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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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ein paar Worten erklären.« Ich gab ihm ein Zeichen, mir die Treppe hinauf zu folgen.
    Als ich die Wohnungstür öffnete, schoss Rosa heraus, umrundete ihn schwanzwedelnd und sprang an ihm hoch. In diesem Augenblick beneidete ich sie. Kein Gedanke daran, was Simon davon halten würde, belastete sie.
    »Netter Hund«, sagte Martin und streichelte sie.
    »Rosa gehört Simon, meinem Freund.«
    »Sie scheint mich zu mögen.«
    Ich nahm ihm die Flasche ab, dirigierte ihn zum Sofa und bat ihn, dort auf mich zu warten. Auf dem Weg in die Küche machte ich einen Umweg übers Bad, nur um dort einigermaßen ratlos vor dem Spiegel zu verharren. Jede Veränderung, die ich jetzt vornahm, würde ihm auffallen. Ich entschied mich gegen Parfum und Kajalstift, bürstete stattdessen meine Haare und fasste sie mit derselben Spange zusammen wie zuvor.
    Mit der geöffneten Flasche Wein und zwei Gläsern gesellte ich mich zu Martin, achtete dabei jedoch auf einen genügend großen Abstand zwischen uns. Ich verzichtete auf Kerzen und Musik und dimmte das Licht im Raum heller. Während ich den Wein einschenkte, beobachtete er jede meiner Bewegungen. Ich reichte ihm ein Glas und zog mich in meine Ecke der Couch zurück. Martin schien in den vergangenen Minuten sein Konzept geändert zu haben, denn er flirtete nicht mehr mit mir. Er sah mich an, wie Arne mich oft ansah – als Freund.
    »Du machst einen ziemlich angespannten Eindruck«, sagte er über sein Glas hinweg. »Ist es diese Lenhardt-Sache?«
    »Es ist das Testament, das mir zu schaffen macht, es ist Ben … es ist so viel, dass …«
    »Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Ich zögerte. »Wenn du dich zwischen einem Versprechen und einem Freund entscheiden müsstest, wofür würdest du dich entscheiden?«
    »Geht es um das Versprechen, das du mir gegeben hast?«
    »Nein.«
    »Du musst das, was ich dir erzählt habe, für dich behalten, egal wie, andernfalls käme mein Kontakt bei der Polizei in Teufels Küche. Und ich brauche ihn. Kann ich mich auf dich verlassen?«
    »Ja.« Mir wurde bewusst, wie wenig überzeugend das für Martin klingen musste. Eigentlich hätte es gar keinen Zwiespalt geben dürfen. Ein Versprechen war ein Versprechen, es hatte zu gelten – gleichgültig, unter welchen Bedingungen.
    »Was beschäftigt dich so?«, fragte Martin.
    »Manchmal erfährt man etwas, das im ersten Augenblick viel schwerer zu wiegen scheint als ein Versprechen, das man gegeben hat. Weil es so unfassbar ist … so verletzend. Weil es die Gewichte zu verschieben droht, die Werte, die sonst so ein großes Gewicht haben.« Ich hoffte, er würde verstehen, dass ich keine Details preisgeben konnte. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Wenn ich verletzt worden bin, hat mir oft die Zeit geholfen. Nicht in dem Sinne, dass sie alle Wunden heilt. Dieser Spruch wurde von Leuten erfunden, die nichts anderes als Schürfwunden kennen. Aber Zeit hilft dabei, einen Standpunkt zu finden und den Blick zu schärfen. Dann wird der Kopf klarer. Manchmal stellst du sogar fest, dass es sich mit dem Schmerz leben lässt, dass mit der Zeit etwas anderes wichtiger wird.« Er nahm sein Glas, schwenkte den Wein und versenkte den Blick in die rote Flüssigkeit. Nach einer Weile sah er auf. »Warte ab. Lass dir Zeit. Das ist der einzige Rat, den ich dir geben kann.«
    Als ich gegen fünf Uhr aufwachte, lag ich unter einer Wolldecke auf meinem Sofa. Der Dimmer der Stehlampe war heruntergedreht, sodass der Raum in schummriges Licht getaucht war. Zwei leere Rotweingläser standen auf dem Tisch, die Flasche war noch halb voll. Über dem Etikett haftete ein rosa Klebezettel. Ich streckte meine Hand danach aus und drehte dann das Licht heller, um lesen zu können. Er gehöre nicht zu den Männern, die gekränkt seien, wenn Frauen in ihrer Gegenwart einschliefen, hatte Martin geschrieben. Im Gegenteil: Für ihn sei es ein Vertrauensbeweis. Neben einem Smiley hatte er seine private Handynummer notiert. Nicht nur für Notfälle, hatte er daruntergeschrieben.
    Ich klebte den Zettel wieder auf die Flasche und ließ mich zurücksinken. Wäre Rosa nicht gewesen, wäre ich sofort wieder eingeschlafen. Aber sie sprang winselnd aufs Sofa, wieder hinunter und wieder hinauf. Ich hatte am Abend vergessen, mit ihr hinauszugehen.
    »Entschuldige«, sagte ich zerknirscht, stand auf und lief mit ihr vors Haus. Zum Glück hatte es aufgehört zu regnen, sonst hätte ich sie in den Garten zerren müssen. So war sie schon einen Moment

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