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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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später aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich blieb im Hauseingang stehen und betrachtete Bens Licht. Es strahlte eine seltsame Ruhe aus, die sich auf mich legte. Ein Geräusch ließ meinen Puls in die Höhe schießen. Aber es war nur Rosa, die an mir vorbei ins Haus raste. Ich schloss die Tür und ging auf Zehenspitzen die Treppe hoch. Dabei hätte ich mir das Schleichen sparen können. Mein Vater wartete im karierten Schlafanzug am Treppenabsatz auf mich.
    »Wieso bist du schon auf?«, fragte ich überrascht.
    »Immer noch. Ich konnte nicht schlafen. Magst du einen Schluck mit mir trinken?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich war nur schnell mit Rosa draußen und bin todmüde.«
    »Wie wär’s mit einem Kaffee?«, fragte er, als hätte er meine Antwort nicht gehört.
    »Papa, was ist los?«
    »Hast du den Zettel nicht gelesen?«
    Nein, bitte nicht! Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war eine Diskussion über diese Zettel. »Würdet ihr endlich mal miteinander reden, käme es nicht zu solchen Missverständnissen.«
    »Deine Mutter redet nicht mit mir.« Er sah mich so anklagend an, als sei ich schuld daran. »Ich tue doch alles, gebe mir Mühe, trinke kaum noch einen Schluck Wein … was will sie denn noch?«
    Mit einem tiefen Seufzer lehnte ich mich in den Türrahmen. »Papa, lass ihr Zeit, bedränge sie nicht …«
    »Von Bedrängen kann doch wohl kaum die Rede sein, wenn ich sie vorsichtig frage, ob sie mal mit mir essen geht!« Seine Stimme dröhnte durchs ganze Treppenhaus.
    »Scht! Du weckst sie auf.« Aber vermutlich hatte er genau das im Sinn.
    »Ich habe keine Geheimnisse vor ihr«, wetterte er mit unverminderter Lautstärke. »Aber vielleicht hat sie welche vor mir!«
    Er wirkte so unglücklich und ratlos, dass ich ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. Dennoch hatte ich keine Lust, in aller Herrgottsfrühe die Beziehungsprobleme meiner Eltern durchzukauen. Am liebsten hätte ich die Tür hinter mir zugeschlagen. Um dem Impuls zu widerstehen, atmete ich tief durch und verlegte mich auf die Strategie, mit der ich bisher am besten gefahren war. »Frag sie doch, ob sie Geheimnisse hat.«
    Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er sah mich mit einem Ausdruck an, als habe ich ihn verraten.
    »Sie hat keine Geheimnisse!«, dröhnte in diesem Augenblick die Stimme meiner Mutter durchs Treppenhaus. »Sie will nur ungestört schlafen.« Gleich darauf knallte sie ihre Wohnungstür so laut zu, dass mein Vater und ich zusammenzuckten.
    »Siehst du, du hast dich völlig umsonst gesorgt«, sagte ich mit einem Zwinkern. »Geh schlafen, Papa.«
    Seine Stirn glättete sich ein wenig. »Hat sie dir erzählt, dass ich ihr einen Bonsai geschenkt habe?«
    »Ja.«
    »Meinst du, sie hat sich gefreut?«
    »Das hat sie! Und jetzt …«
    Er schien mich gar nicht zu hören. »Ich mache mir Sorgen um sie, verstehst du? Die Sache mit ihren Bäumen war ein Schock für sie. Meinst du …?« Seine Worte versiegten, und er starrte ins Leere.
    »Papa …?« Sanft legt ich ihm eine Hand auf die Schulter.
    Er schrak zusammen und sah mich an, als wache er aus einem Albtraum auf.
    »Geh ins Bett, und versuche zu schlafen.«
    Mit einem Nicken wandte er sich um und verschwand wortlos in seiner Wohnung. Ich blieb noch ein paar Sekunden lang stehen, bis ich leise die Tür hinter mir schloss.
    Nachdem ich mir in der Küche einen warmen Kakao zubereitet hatte, holte ich mir aus dem Bettkasten den zusammengeschnürten Stapel mit Tagebüchern und kuschelte mich ins Bett. Vielleicht gelang es Johann Ehlers, mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich breitete die Hefte um mich herum aus und besah sie genauer. Was ich beim ersten schnellen Durchsehen für Tagebücher gehalten hatte, stellte sich als Notizbücher mit verschiedenen Themenschwerpunkten heraus. Ich las einige der Beschriftungen: Nachbarn, Tod, Kinder, Freunde, Bücher, Fehler, Fragen. Ich nahm das Heft, auf dem in Schönschrift Freunde geschrieben stand, und begann zu lesen.
    Schnell begriff ich, dass Johann Ehlers Freundschaft ähnlich definierte wie Simon. Er stellte klar umrissene Ansprüche an seine Freunde. Was aus seiner Sicht unverzeihlich war, verzieh er ihnen auch nicht. Sie mussten aufrichtig sein, auf seiner Seite stehen und für ihn eintreten, wenn es darauf ankam. Johann Ehlers verabscheute Duckmäuser und Feiglinge und ließ da auch keine Ausnahmen gelten. Er zog wenige gute Freunde vielen falschen vor und erwartete auch von sich selbst, ein guter

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