Das verstummen der Kraehe
Zwischen den Umständen und den Taten, die Ihr Mann begangen hat, wird immer ein Abgrund bleiben, den Ihr Mann überwunden hat. Weder Sie noch ich werden das jemals verstehen können.«
Rosa brachte den Stock zurück und ließ sich zwischen uns auf der Bank nieder. An mich lehnte sie ihr Hinterteil, auf Rena Veltes Oberschenkel legte sie den Kopf und wartete geduldig, bis diese zaghaft begann, sie zu streicheln.
»Ich denke sehr viel an Ihre Eltern. Ich weiß, wie es ist, ein Kind zu verlieren. Davon erholt man sich nie.« Sie zog ein Papiertaschentuch aus ihrer Jackentasche und schnäuzte sich leise die Nase. »Glauben Sie, es würde ihnen helfen, wenn …« Sie zögerte.
»… wenn sie Sebastian kennenlernen würden?«, vollendete ich ihren Satz und hielt dann den Atem an.
Sie nickte.
»Ja, ich glaube, das würde ihnen helfen. Ganz sicher sogar. Sie haben noch gar nicht richtig begriffen, dass sie einen Enkel haben, aber wenn es so weit ist …«
Jetzt war sie es, die meinen Satz vollendete. »Dann sind sie mir willkommen.«
Inzwischen war vom Nachlassgericht das Testamentsvollstreckerzeugnis eingetroffen. Damit stand der Abwicklung des Nachlasses nichts mehr im Wege. Simon plädierte nach wie vor für den Tierschutzverein, aber ich entschied mich für einen anderen Weg. Das Erbe würde zu gleichen Teilen auf Nadja Lischka, die Angermeiers und Rena Velte verteilt werden, so wie Theresa Lenhardt es wollte. Die Gebühren, die ich daran verdiente, würde ich dem Tierschutzverein spenden. Ich hätte das Geld gut gebrauchen können, aber es war Geld, mit dem ich nicht glücklich geworden wäre. Es war zu eng mit Bens Tod verknüpft. Auch Rena Velte hatte signalisiert, dass sie das Geld nicht wollte. Sie würde das Erbe zwar antreten, es dann aber an eine Organisation spenden, die für Justizopfer eintrat.
Am liebsten hätte ich Christoph Angermeier vom Erbe ausgeschlossen, aber das war nicht möglich. Er hatte großes Unheil angerichtet, indem er Ben als Spender preisgegeben hatte. Aber das war letztlich nur eine Verletzung des Datenschutzes und seiner ärztlichen Schweigepflicht. Für die sexuelle Nötigung seiner Patientin würde er nicht mehr belangt werden können, da sie acht Jahre zurücklag und damit vor drei Jahren verjährt war. Für die betroffene Frau würde seine Tat nie verjähren.
»Es ist verdammt schwer, so jemanden ungeschoren davonkommen lassen zu müssen«, sagte Henrike. Wir saßen mit Rosa an einem Fenstertisch im Tushita Tea House in der Klenzestraße, wohin ich sie eingeladen hatte. Henrike nahm einen großen Schluck grünen Tee und versorgte Rosa unter dem Tisch heimlich mit Leckerchen.
Ich tat, als würde ich es nicht bemerken.
»Ich frage mich die ganze Zeit, ob Tilman Velte jemanden beauftragt hat, mich an der Würm zu überfallen. Er selbst kann es nicht gewesen sein, er hatte ein Alibi. Und er hat an diesem Sonntag alles zugegeben, die anonymen Anrufe, die Fotos, das mit der Kerze und den Bonsais, den Grillanzünder, nur den Überfall nicht.«
»Dann zählt das wohl zu den Sachen, die ungeklärt bleiben.«
Ich sah Henrike einen Moment lang schweigend an. »Ich bin froh, dass du dort warst.«
»Ich auch.«
»Ich habe die ganze Zeit gebetet, dass meine Mutter irgendwie spürt, dass ich Hilfe brauche, und herausfindet, wo ich bin.« Wie ich inzwischen wusste, hatte sie tatsächlich Funda anrufen wollen, kannte aber ihre Telefonnummer nicht. Also hatte sie Henrike angerufen und sie bei Arne erreicht, der sofort wusste, um welches Haus es sich handelte.
»Wie hast du Arne eigentlich erklärt, dass du abgeschlossene Türen öffnen kannst?«
»Das brauchte ich gar nicht. Er hat es gemacht. Und da jeder von uns seine Geheimnisse hat, habe ich ihn nicht gefragt, woher er das kann.« Ihr Schmunzeln ging in ein Grinsen über.
»Du hast ihm nicht gesagt, dass du bei der Polizei bist?«
»Erstens bin ich beurlaubt, wie du weißt, und zweitens will ich damit noch warten. Es läuft gerade so gut zwischen uns.«
»Aber Arne ist doch nicht blöd. Du hast Tilman Velte so gezielt außer Gefecht gesetzt, das lernt man in keinem Selbstverteidigungskurs.«
»Ob du es glaubst oder nicht – der Baseballschläger war ein Geschenk von Arne. Er meint, es könne nie schaden, so etwas im Auto zu haben. Erst vor ein paar Wochen hat er mir beigebracht, wie ich mich damit zur Wehr setze. Ich habe natürlich so getan, als wüsste ich nicht, wie man sich verteidigt.« Sie lächelte und steckte mich
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