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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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sei keine große Sache, sie seien allesamt unschuldig, der Mord sei damals aufgeklärt worden und fertig.«
    »Aber das war nicht die, die das mit Ben belauscht haben will, oder?«
    »Nein, es war die Witwe des Journalisten, der umgebracht wurde. Wenn es nach ihr ginge, würde ich morgen das Erbe verteilen.«
    »Bei der Summe, um die es da geht, ist es ein Wunder, dass sie bisher die Einzige ist, die hier herumschleicht.«

4
Von einer Sekunde auf die andere war ich hellwach. Mein Herz klopfte, als stünde es unter Volldampf. Ich brauchte nicht auf den Wecker zu sehen, um zu wissen, dass es kaum später als vier Uhr war. Es gab nur wenige Nächte, in denen ich um diese Zeit noch schlief. In den vergangenen Jahren hatte ich so ziemlich alles ausprobiert, was in klugen Ratgebern über Schlaflosigkeit stand. Nichts hatte geholfen. Schließlich hatte ich begonnen, das Unabänderliche zu akzeptieren und in die Leben der Toten einzutauchen, in ihre Briefe, Tagebücher und persönlichen Aufzeichnungen, die ich aus Nachlässen rettete, für die sich niemand interessierte. In einer großen Bettschublade, verborgen unter einer Wolldecke, hortete und hütete ich diese Papiere. Sie schlüsselten Biografien auf und erzählten davon, warum manche Menschen scheiterten, während anderen ihr Leben trotz widriger Umstände gelang. Zwischen diesen Seiten lernte ich Menschen kennen, die in schwere Sinnkrisen stürzten, und andere, die ihr Leben lang davon verschont blieben. Und ich begriff, dass es keine Hierarchie des Leids und der Trauer gab. Wer darin verfangen war, für den war der Schmerz absolut.
    In dieser Nacht folgte ich Elisabeth Weiß auf ihrem Lebensweg. Ich erinnerte mich noch gut an ihre aufgeräumte, saubere Wohnung, in der sie ihre wenigen Besitztümer gehütet hatte, bis sie eines Morgens nicht mehr aufgewacht war. Ihre Schrift war ungelenk, und auch die Worte schienen ihr nicht immer zugeflogen zu sein. Sie und ihr Mann hatten einen kleinen Lebensmittelladen betrieben, zu einer Zeit, als die Supermärkte gerade im Entstehen waren. Sie hatten um ihre Kunden kämpfen müssen, manchmal um den Preis der Selbstachtung. Da das Geld knapp war, hatten sie an den Wochenenden die verderblichen Überreste aus dem Laden gegessen, meistens Kuchen oder Milch, die sie zu Grießbrei verarbeiteten. Es war ein entbehrungsreiches Leben, von dem Elisabeth erzählte und mit dem sie oft haderte.
    Als ich das Schreibheft zuschlug, hörte ich den Hahn aus der Nachbarschaft. In meinen schlaflosen Nächten war mir sein Krähen vertraut geworden. Es gab Anwohner, die hätten seine lautstarken Äußerungen lieber in einem Kochtopf zum Schweigen gebracht, mich beruhigten sie.
    Ich stand auf und ging in die Küche, um mir Milch in einem Topf zu wärmen. Mit dem fertigen Kakao setzte ich mich ins offene Fenster und schaute in die Dämmerung. Ich hatte den frühen Morgen schon immer gemocht, den Geruch von würziger, unverbrauchter Luft und das Gezwitscher der Vögel.
    Vorsichtig nahm ich einen Schluck von dem heißen Kakao und ließ meinen Blick durch den Park hinüber zur Würm wandern. An der Uferböschung waren zwei Amseln auf der Suche nach den Zutaten für ihr Frühstück. Dieses Picken in der Erde erinnerte mich an unsere Suche nach Ben. Ohne Plan hatten wir im dichten Nebel herumgestochert, hätten alles gegeben für den kleinsten Hinweis, wo wir nach ihm suchen sollten. Aber irgendwann hatte mein verzweifeltes Sehnen nach einem Anhaltspunkt aufgehört. Ich hätte noch nicht einmal sagen können, wann genau. Es war, als hätte sich meine Hoffnung erschöpft. Inzwischen war ich mir sicher, dass Ben nicht mehr lebte.
    Mein Bruder war zwei Jahre nach mir, aber zwei Monate zu früh auf die Welt gekommen. Die Ärzte hatten gemeinsam mit meinen Eltern um sein Leben gekämpft und diesen Kampf nach wochenlangem Ringen und Bangen schließlich gewonnen. Von da an hatten meine Eltern Ben in Watte gepackt und verhätschelt. Die Angst und Sorge, ihn zu verlieren, hatte sie nie ganz verlassen. Die Risiken, die mit einem zu früh geborenen Kind verbunden waren, rückten in ihren Augen in die Nähe von Tatsachen. Deshalb hatten sie sich darauf eingestellt, ein Kind mit leichten geistigen Beeinträchtigungen großzuziehen. Es musste erst ein engagierter Lehrer kommen, der Bens Zurückhaltung in der Schule nicht als Minderbegabung, sondern als Langeweile erkannte und meine Eltern überredete, ihren Sohn auf Hochbegabung testen zu lassen.
    Sein Verschwinden

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