Das verstummen der Kraehe
mir zur Straße und zum Innenhof hin als Sichtschutz diente.
Ich nutzte die Zeit, bis der Kaffee durchgelaufen war, setzte mich auf die Holzbank und lehnte meinen Kopf gegen die Hauswand. Der Himmel war an diesem ersten Septembermorgen fast wolkenlos. Seit ein paar Tagen wurden die Nächte kühler, die ersten Blätter verfärbten sich, und die Sonne warf längere Schatten, aber sie wärmte noch immer. Ich schloss die Augen, sog den Duft der Quitten ein und landete doch gleich darauf mit meinen Gedanken wieder bei der Kerze. Unmöglich, dass sie von selbst ausgegangen war. Gäbe es irgendeinen Materialfehler, hätte sie nach dem erneuten Anzünden sofort wieder verlöschen müssen.
Das Röcheln der Kaffeemaschine setzte dem Gedankenkarussell ein Ende. Ich trug das Tablett mit Kanne und Bechern ins Büro und stellte es auf den Glasbausteinen ab. Als sich ein kleiner warmer Körper gegen meine Unterschenkel drückte, ging ich in die Knie und streichelte Rosa, die mir durch die offene Terrassentür in mein Büro gefolgt war. Kaum hatte ich unsere Begrüßungszeremonie beendet, verzog sich Simons fünfjährige Mischlingshündin in ihr Hundebett neben meinem Schreibtisch.
Ihren Namen verdankte sie ihrem Prinzessinnengehabe, für das laut Simon allein die Farbe Rosa in Betracht kam. Bei Regen riskierte sie lieber Inkontinenz, als auch nur eine ihrer Pfoten vor die Tür zu setzen. Außerdem bedurfte es stets einer weichen Unterlage, bevor sie sich auf dem Boden niederließ. Gegenüber Katzen, Kaninchen und Eichhörnchen präsentierte sie sich hingegen alles andere als rosa .
Auf das Klingeln an der Tür reagierte sie mit einem halbherzigen Bellen, bevor sie sich wieder zusammenrollte. Gleich darauf schlug die Glocke von St. Georg neunmal. Funda Seidl war pünktlich. Ich eilte in den Flur und zog das Blümchenkleid aus Samt glatt, das ich über meiner Jeans trug, bevor ich die Tür öffnete.
Als ich meiner neuen Mitarbeiterin gegenüberstand, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich mich nicht allein deswegen für sie entschieden hatte, weil sie sich vor nichts ekelte. Sie machte den Eindruck, als sei sie voll unbändiger Vorfreude auf meiner Fußmatte gelandet. Ein wenig außer Atem pustete sie die Spitzen ihrer zu einem Bob geschnittenen dunklen Haare aus der Stirn und zupfte mit einer Hand an ihrer dunkelroten Wickelbluse herum. Die Beine ihrer hautengen Jeans steckten in Stiefeln mit Absätzen, die waffenscheinpflichtig hätten sein müssen, ihre eins sechzig aber um gut zehn Zentimeter aufstockten.
»Auf die Minute. Perfekt, oder? Ich hab mich wirklich selbst übertroffen. Weißt du, wie es ist, wenn eine Dreijährige ihren Kopf durchsetzen und mit genau den Stiefeln in den Kindergarten gehen will, die du gerade trägst?« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Mein Gott, bin ich aufgeregt. Du gar nicht, oder?«
Ich musste lachen. »Komm rein.«
Mit drei Schritten war sie an mir vorbei, beugte sich zu Rosa, strich ihr über den Kopf und steuerte schnurstracks auf ihren neuen Schreibtisch zu. Ein in Alufolie gewickeltes Päckchen, das sie die ganze Zeit in einer Hand balanciert hatte, deponierte sie vorsichtig auf dem Schreibtisch, ihre überdimensional große Tasche ließ sie danebenplumpsen. Sie setzte sich auf den Drehstuhl, der unter ihrem Gewicht kaum nachgab. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf diesen Job hier freue. Ich hab kaum geschlafen heute Nacht.« Sie musterte mich. »Du hast aber auch nicht viel geschlafen, oder?«
»Ich schlafe nie viel.«
»Wie hältst du dann den Tag durch?«
»Mit Unmengen von Kaffee.« Ich setzte mich ihr gegenüber, erwiderte ihren Blick und stellte fest, dass ich ihr stundenlang hätte zuhören können. Ihre Stimme und ihre Art zu sprechen hatten etwas von einem sanft plätschernden Zimmerbrunnen.
»Übrigens rede ich nur so viel, wenn ich aufgeregt bin«, erklärte sie. »Früher habe ich dann Schluckauf bekommen. Das hat sich zum Glück gelegt.«
»Wie hast du dich aus der Nummer mit den Stiefeln gerettet?«, fragte ich.
»Indem ich behauptet habe, die Klingel bei meiner neuen Arbeitsstelle sei hoch über der Eingangstür angebracht und ich käme nur auf diesen Absätzen daran. Und wenn ich nicht klingeln könnte, würde niemand bemerken, dass ich da sei. Und dann würde ich den Job gleich wieder verlieren und könnte nachmittags nicht mit ihr Eis essen gehen.«
»Das hat sie geglaubt?«
»Sie ist meine Tochter. Natürlich hat sie es nicht
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