Das verstummen der Kraehe
in meinem Bereich einen guten Ruf zu verschaffen, und den setze ich ganz bestimmt nicht aufs Spiel.«
»Hast du tatsächlich noch nie damit geliebäugelt, etwas mitzunehmen? Wenn du zum Beispiel weißt, dass es keine Erben gibt und du es niemandem vorenthältst?«
Sekundenlang hatte ich das Gefühl, Funda würde mir auf den Grund meiner Seele blicken. Ich fühlte mich ertappt. »In dem Fall würde ich es nicht einfach mitnehmen, sondern zum Beispiel den Entrümpler fragen, ob ich es abkaufen kann. Aber es ist bisher noch nie vorgekommen. Bei dieser Arbeit hast du es jeden Tag mit all den Dingen zu tun, die ein Mensch während seines Lebens sammelt und hütet und auf die er glaubt, nicht verzichten zu können. Und dann stirbt er, und das meiste landet im Müllcontainer, im Trödelladen oder auf Flohmärkten. Das hat meine Sicht auf die Dinge ziemlich verändert. Mir genügt es, etwas schön zu finden und es zu bewundern, ich muss es nicht besitzen.« Während ich das sagte, schämte ich mich dafür, sie zu belügen. Es ging jedoch niemanden etwas an, dass ich aus Nachlässen ohne Erben Briefe, Tagebücher und persönliche Aufzeichnungen mitnahm. All das in den Müllcontainer zu werfen wäre mir wie ein Verbrechen an den Menschen vorgekommen, die ihr Innerstes diesen Seiten anvertraut hatten. In meinen schlaflosen Nächten las ich darin.
»Machen dich all diese Dinge, die zurückgelassen werden, nicht manchmal traurig?«
»Mich machen Schicksale traurig. Wenn Menschen einsam und verwahrlost sterben. Aber es gibt auch die, die mit fünfundachtzig friedlich einschlafen. Die machen mich froh. Jeder, dem es ähnlich ergeht, darf sich glücklich schätzen. Und jetzt …«
»Warte! Eine Frage habe ich noch. Darf ich eigentlich zu Hause von dem erzählen, was ich hier mache?«
»Darüber, was du generell hier tust, darfst du selbstverständlich erzählen. Die Details unterliegen allerdings der Verschwiegenheitspflicht, davon darf nichts nach außen dringen.« Ich klatschte in die Hände, woraufhin Rosa aufsprang, als habe ich zur Jagd geblasen. »So, jetzt werfen wir einen Blick in die Kammer des Schreckens.«
Funda sah sich in dem Raum um, der über zwei Wände hinweg Regale mit tiefen Brettern und einen Tresorschrank beherbergte. In den Regalen lagerten bis zum Rand gefüllte Kisten und Wäschekörbe. Die beiden vergitterten Fenster waren gekippt, um den Geruch erträglich zu halten.
Mit einer ausladenden Geste deutete ich auf Regalreihen und Tresor. »Hier lagern die Dokumente und Wertsachen, die ich aus den Objekten mitnehme. Die Papiere werden nach Kategorien auf Haufen sortiert – Versicherungen, Bank, Rente, Gläubiger und so weiter. Dann wird noch einmal jeder Haufen in sich chronologisch sortiert und danach ausgewertet. In diesen Dokumenten lassen sich häufig Hinweise auf weiteres Vermögen oder Verwandte finden.«
»Detektivarbeit«, fasste Funda das Ganze aus ihrer Sicht zusammen. »Das wollte ich schon immer mal machen. Was ist denn in dem Tresor?«
Ich schob den Schlüssel ins Schloss und zog die schwere Tür auf. »All das, was besser nicht frei zugänglich herumliegen sollte.«
»Eine Pistole …« Funda klang, als würde sie auf eine alte Bekannte treffen.
Mir wurde heiß. Das verdammte Ding hatte ich völlig vergessen. Noch vor Fundas Dienstantritt hatte ich sie zurück in das Haus in Untermenzing bringen wollen, wo ich sie am Vortag gefunden hatte. Dann hatte Bens Kerze alle Vorsätze zunichtegemacht.
»Ist das deine?«
»Nein, sie stammt aus einem Nachlass. Ich war gestern kurz in dem Haus und habe sie dort gefunden. Eigentlich hätte ich sie gar nicht mitnehmen dürfen, da es verboten ist, eine Waffe ohne Waffenbesitzkarte oder einen Waffenschein zu transportieren. Ich hätte wie immer die Polizei anrufen müssen, damit die sie abholt. Aber ich hatte es so eilig und wollte die Pistole keinesfalls dortlassen, falls eingebrochen würde. Ich bringe sie heute Nachmittag zurück in das Haus und rufe von dort aus die Polizei.« Zu blöd! Wie sollte ich von ihr erwarten, sich akribisch an Vorschriften und Gesetze zu halten, wenn es mir nicht einmal selbst gelang?
Funda griff ins Regal und nahm die Pistole heraus. Mit geübtem Griff ließ sie das Magazin herausfallen. Sie hielt es mir in der geöffneten Hand entgegen. »Das ist eine Walther PP, und sie ist sogar noch geladen.« Sie schob das Magazin zurück und ließ es wieder einrasten.
»Woher weißt du das?«, fragte ich.
»Mein Vater hat
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