Das verstummen der Kraehe
geglaubt, aber sie liebt Geschichten. Ich werde sie irgendwann mal mitbringen, damit du sie kennenlernst. Apropos Mitbringsel – das hier ist von meiner Mutter.« Sie reichte mir das Alupäckchen. »Kennst du Baklava? Obwohl ich damit aufgewachsen bin, könnte ich immer noch dafür sterben.«
»Blätterteig, Pistazien, Butter und Zuckersirup«, zählte ich blitzschnell auf. »Himmlisch.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe ein paar Jahre in Berlin gelebt.« Nachdem ich das Päckchen geöffnet hatte, schob ich mir eines der kleinen Teilchen in den Mund.
»Die machen beim ersten Bissen süchtig«, sagte sie.
»Ich weiß.« Ich schob ein zweites Baklava direkt hinterher.
»Du musst nur einen Ton sagen, dann bringe ich Nachschub mit. Meine Mutter beherrscht ein unendliches Repertoire an türkischen Süßigkeiten. Und sie freut sich, wenn sich der Kreis der Abnehmer erweitert – quasi als Gegengewicht zu Leberkäse und Schweinebraten.«
»Türkisch-bayerisches Gleichgewicht?«
»Mein Vorname ist der beste Beweis. Eigentlich sollte ich Johanna heißen, meine Mutter hat Funda durchgesetzt. Der Name bedeutet auf Türkisch Bergblumenwiese. Das war meiner Mutter bayerisch genug. Aber ich höre jetzt mal besser auf, von meiner Familie zu erzählen. Du willst mir bestimmt jede Menge erklären.«
Ich stand auf und winkte sie zum Sofa. »Magst du einen Kaffee?«
Nachdem eine knappe Stunde lang ausschließlich ich geredet hatte, meldete Funda sich wieder zu Wort.
»Wie hältst du es eigentlich aus, nicht ans Telefon zu gehen?«
Kurz hintereinander waren drei Anrufe hereingekommen. Ich hatte sie ausnahmslos dem Anrufbeantworter überlassen. Mit halbem Ohr hatte ich die Nachrichten mitgehört. »Das musst du hier lernen, Funda, sonst kommst du nicht zum Arbeiten und wirst ständig unterbrochen.«
»Aber bei der letzten Anruferin, dieser Frau …«
»Lischka.« Wer immer sie war.
»Ja. Bei der klang es ziemlich dringend.«
»Die meisten, die hier anrufen, lassen es dringend klingen. Aber wir arbeiten hier in erster Linie für die Toten. Was die Erben anbelangt, gebe ich mir Mühe, die Sache so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen, aber ich überschlage mich nicht. Warte ein, zwei Wochen, dann wird es dir genauso gehen.«
»Okay, dann fasse ich jetzt mal kurz zusammen, worum es hier geht, ja?«
Ich nickte.
»Also, wenn ich alles richtig verstanden habe, bekommst du deine Aufträge vom Nachlassgericht, und das auch nur dann, wenn die Erben unbekannt sind.«
»Oder wenn jemand in seinem Testament verfügt hat, dass durch das Nachlassgericht ein Testamentsvollstrecker bestellt wird.«
»Okay. Es ist also jemand gestorben. Du wirst mit der Regelung des Nachlasses beauftragt, gehst in die Wohnung oder das Haus, durchsuchst alles nach Wertgegenständen und …«
»Dokumenten.«
Funda nickte und fügte diesen Punkt einer imaginären Liste hinzu. »Und dann erstellst du eine Nachlassbilanz, suchst die Erben und fertig. Was ist, wenn du keine Erben findest?«
»In dem Fall wird das Fiskuserbrecht festgestellt.«
»Das heißt, du machst alles zu Geld, was der Tote hinterlassen hat, und überweist es an die Staatskasse?«
»So ungefähr.«
»Darf ich dich mal was fragen, Kristina?« Ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort. »Die müssen dir ganz schön vertrauen beim Nachlassgericht. Ich meine, du hast vorhin gesagt, jeder Hinz und Kunz könne Nachlassverwalter werden.«
Zwischen den Zeilen lesen konnte sie also auch, vermerkte ich im Stillen. »Ganz so habe ich es nicht ausgedrückt. Fakt ist, dass jeder diese Arbeit machen kann – egal ob Buchhalter, Pfarrer oder Hausfrau. Aber das Nachlassgericht beauftragt natürlich lieber Leute mit Erfahrung, das heißt mit Verhandlungsgeschick, juristischen Grundkenntnissen, mit Ahnung von Erb-, Familien- und Steuerrecht, Kenntnissen in Bank- und Versicherungswesen, Vermögensanlagen und Immobilien.«
»Und das beherrschst du alles?«
»Ich habe monatelang gebüffelt, um zumindest halbwegs eine Ahnung zu bekommen. Und mit jedem Fall lerne ich dazu. Es ist keiner wie der andere.«
»Wie wollen die überhaupt wissen, dass sie dir vertrauen können? Gelegenheit macht Diebe, heißt das nicht so? Ich meine …« Sie wedelte aufgeregt mit den Händen. »Oh mein Gott, wie sich das anhört! So hab ich es gar nicht gemeint. Manchmal sollte ich wirklich eine Sekunde nachdenken, bevor ich den Mund aufmache.«
Ich musste lachen. »Ich habe viel dafür getan, mir
Weitere Kostenlose Bücher