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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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der grünen Markise ergattert. Als er mich sah, deutete er auf den einzigen noch freien Stuhl zu seiner Rechten.
    »Hey, Kristina«, begrüßte er mich.
    Ich setzte mich und betrachtete ihn, während er bei der Kellnerin eine neue Bestellung aufgab. Ich versuchte, mich nicht von einer Flut von Erinnerungen überschwemmen zu lassen. Seine Sommersprossen, die ihm eine leicht rötliche Gesichtsfarbe verliehen, schienen sich im Lauf der Jahre ebenso multipliziert zu haben wie das Geld, das er inzwischen für Kleidung und Schuhe ausgab. Lediglich was seine Farbwahl betraf, hatte sich nichts geändert. Nils trug ausschließlich Schwarz, bis hin zu Sonnenbrille und Armbanduhr. Er war noch immer sehr schlank. Sein Gesicht war schmal, seine Nase hatte einen feinen Bogen, und sein Kinn war gerade so ausgeprägt, dass es männlich, aber nicht grob wirkte. Den beiden Mädels Anfang zwanzig, die am Nebentisch saßen, schien er zu gefallen.
    »Kristina?« Nils und die Kellnerin sahen mich erwartungsvoll an.
    »Einen Latte macchiato, bitte.« Ich wartete, bis sie sich abwandte. »Nettes Café.«
    Er nickte und schob sich die Sonnenbrille in die Haare. Seine dunkelblauen Augen glänzten unter den hellen Wimpern wie Murmeln. »Es ist fast sechs Jahre her«, sagte er. »Bist du übers Wochenende hier?«
    »Ich habe mein Studium in Berlin abgebrochen und arbeite seit ein paar Jahren hier in München als Nachlassverwalterin.«
    »Und wo wohnst du?«
    »Auf dem Hof. Meine Eltern sind auch dorthin gezogen.«
    »Alles wegen Ben?«
    Ich nickte. »Und du?«
    »Ich habe nach dem Studium eine kleine Firma für Softwareentwicklung gegründet. Hätte schlimmer kommen können. Aber jetzt erzähl mal von dieser neuen Spur. Was hat es mit den Namen auf sich, die du in deiner Mail aufgelistet hast?«
    »Kannst du einen dieser Namen mit Ben in Verbindung bringen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Wie bist du überhaupt nach so langer Zeit auf eine neue Spur gestoßen?«
    »Durch Zufall.«
    »Ich habe vorhin noch schnell ein paar Suchläufe nach diesen Leuten gestartet. Was sollte Ben mit denen zu tun gehabt haben? Sie sind um einige Jahre älter als dein Bruder.«
    »Kurz nach Bens Verschwinden gab es einen Mord im Umfeld dieser Leute, und in dem Zusammenhang soll Bens Name gefallen sein.«
    Die beiden Mädels neben uns waren verstummt – vermutlich um unserer Unterhaltung besser folgen zu können.
    »Hast du schon die Kripo informiert?«, fragte Nils mit gedrosselter Lautstärke, als die Kellnerin den Latte macchiato vor mich stellte.
    »Nein. Bisher gibt es ja überhaupt nichts Konkretes. Sag mal, als Ben damals verschwunden war und ihr angefangen habt, euch zu wundern, wo er bleibt, habt ihr doch in sein Zimmer geschaut. Ist euch da irgendetwas aufgefallen?«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »War irgendetwas nicht wie sonst?«
    »Alles war wie immer.«
    »Das heißt, es sah dort immer so unordentlich aus?«
    »Als hätte eine Bombe eingeschlagen, ja.«
    »Hältst du es für möglich, dass jemand sein Zimmer durchsucht hat?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Na, weil …« Er legte die Sonnenbrille auf den Tisch und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Wer hätte denn ein Interesse daran haben sollen, Bens Zimmer zu durchsuchen? Dein Bruder hatte keinerlei Wertsachen, und auf seine Uniunterlagen wird es wohl kaum jemand abgesehen haben.«
    »Um die Uni hat Ben sich am allerwenigsten gekümmert. Außerdem war sein Laptop verschwunden.«
    »Den hatte er doch immer bei sich.«
    »Nils, hast du damals vielleicht irgendetwas verschwiegen, um Ben zu schützen? Ihr habt zusammen studiert, zusammen gewohnt …«
    »Aber wir sind nicht gemeinsam auf nächtliche Streifzüge gegangen. Unser Beuteschema war zu verschieden.«
    »Meinst du immer noch, sein Verschwinden hatte etwas mit seiner Homosexualität zu tun?«
    »Ich denke schon. Er wird an den falschen Lover geraten sein.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ben hat doch diese Nebenjobs gehabt und für kleine Unternehmen individuelle Sicherheitssoftwares entwickelt. Dabei hat er sicher tiefe Einblicke gewonnen …«
    »Und du glaubst, einer dieser Einblicke könnte zu tief gewesen sein? Vergiss es.«
    »Und wenn er jemanden erpresst hat?«
    »Spinnst du, Kristina? Wir reden hier über Ben.«
    »Eben deshalb! Bei Ben war ständig das Geld knapp. Er hat mich mehr als einmal angepumpt. Dich etwa nicht?«
    »Er durfte froh sein, wenn ich jeden Monat die Miete zusammenkratzen konnte.«
    »Ich habe nie

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