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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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Er hatte sich als Softwareentwickler selbstständig gemacht, eine kleine Firma gegründet und mittlerweile drei Angestellte. Das Foto, das ihn als Jungunternehmer zeigte, hatte nichts mit dem Nils zu tun, der die meiste Zeit in abgerissenen Klamotten und mit ungewaschenen Haaren in Bens WG herumgehangen war. Ich kontaktierte ihn über seine Website und erhielt postwendend Antwort über sein iPhone. Er komme gerade aus einem Club und sei auf dem Weg nach Hause. Wenn ich Lust hätte, solle ich um sechzehn Uhr ins Café Pini in der Klenzestraße kommen.
    »Kris? Bist du im Büro?« Aus dem Flur kam Simons Stimme.
    »Ja … am PC.«
    Er legte eine gefüllte Brötchentüte neben die Tatstatur, setzte sich auf Fundas Drehstuhl und sah mich wortlos an.
    »Was ist?«, fragte ich.
    »Es ist halb acht am Sonntagmorgen.«
    »Ich weiß.«
    »Weißt du auch, was normale Menschen sonntagsmorgens tun?«
    »Brötchen holen?«, fragte ich in dem Versuch, ihn ein wenig aufzuheitern.
    »Sie wachen nebeneinander auf, sie frühstücken gemeinsam …«
    »Ich konnte nicht mehr schlafen.«
    »Kris, wie oft hast du in den vergangenen zwei Jahren neben mir gelegen, wenn ich morgens aufgewacht bin?«
    »Ich bin nicht gut im Schätzen.«
    »Ein einziges Mal. Es ist ungefähr ein Jahr her, und du hattest fast vierzig Grad Fieber.«
    »Ich hab nie versprochen, jeden Morgen neben dir aufzuwachen.«
    Simon machte ein Gesicht, als ginge es in diesem Moment ums Ganze. »Du hast mir auch nie versprochen, an den Wochenenden nicht zu arbeiten. Ich weiß.«
    »Du arbeitest selbst an den meisten Wochenenden. Bisher war das doch nie ein Problem zwischen uns. Wir haben beide ein Geschäft mit flexiblen Arbeitszeiten.«
    »Und jeder von uns hat seine eigene Wohnung.«
    »Du warst derjenige, der mir gleich von Anfang an gesagt hat, dass du deine eigenen vier Wände brauchst, dass du dich hin und wieder zurückziehen musst und für dich sein möchtest. Wenn ich mich recht entsinne, war dein mangelnder Freiraum der Grund, warum du es mit meiner Vorgängerin nicht mehr ausgehalten hast. Und ich habe dir versprochen, dass du dieses Problem mit mir nicht haben würdest.«
    »Mir war damals nicht bewusst, wie leicht dir dieses Versprechen gefallen ist. Dir ist dein Freiraum noch dreimal wichtiger als mir. Deshalb fällt es mir auch schwer, deine Sehnsucht nach einem Kind nachzuvollziehen.«
    »Es ist eine Weile her, dass ich gesagt habe, ich könnte mir vorstellen, eines zu haben.«
    »Du hast mir erst gestern Abend vorgeschwärmt, wie glücklich deine neue Mitarbeiterin mit ihrem Kind ist. Also, warum?«
    »Stellt sich nicht eher die Frage, warum du keines möchtest?«
    Er ließ sich nicht auf dieses Spiel ein, sondern wartete in aller Ruhe meine Antwort ab.
    »Weil ich ein Familienmensch bin.«
    Das Lachen war in seinen Augen, bevor es sich übers ganze Gesicht ausbreitete. Er rollte mit dem Stuhl auf mich zu, packte die Armlehnen meines Stuhls und zog mich nah zu sich heran. Dann sah er mich einen endlosen Moment lang an, bevor er mich küsste.
    »Dieses Quiz können wir gerne öfter spielen, wenn ich für jede richtige Antwort so ausgiebig geküsst werde.«
    »Diesen Kuss gab es für die falsche Antwort. Du reißt dir für deine Familie ein Bein aus, aber du bist kein Familienmensch. Du bist eine Einzelgängerin mit ausgeprägtem Kinderwunsch.«
    Ich rückte ein Stück von ihm weg. »Simon, es ist völlig natürlich, sich ein Kind zu wünschen. Es ist ein biologischer Trieb.«
    »Hoffst du, damit die Lücke schließen zu können, die dein Bruder hinterlassen hat?«
    »Und wenn? Wer bestimmt, welches die richtigen Gründe sind? Du?«
    »Es gibt zu viele falsche. Mit verheerenden Auswirkungen für die Kinder.«
    Ich stöhnte laut auf. »Manchmal muss man sich einfach trauen, Simon.«
    Er stand auf, nahm sich ein Croissant aus der Tüte und ging zur Tür. »Oder seine Gründe überdenken.«
    Mit der Sonne waren die spätsommerlichen Temperaturen zurückgekehrt. Innerhalb der nächsten Stunde würden auch die letzten Wolken am Himmel verschwunden sein. In den Cafés rund um den Gärtnerplatz waren die freien Sitzplätze längst rar geworden. Von freien Parkplätzen ganz zu schweigen. Es war schon zwanzig nach vier, als vor mir endlich ein Wagen aus einer Parkbucht ausscherte. Schnellen Schrittes legte ich die dreihundert Meter zum Café Pini zurück.
    Nils hellblondes Haar entdeckte ich schon von Weitem. Er hatte einen Platz an einem der wenigen Außentische unter

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