Das verstummen der Kraehe
die Jugendlichen würden über mich lachen und mich filmen, wie ich mitten in der Würm stand. Aber sie hatten mich gar nicht entdeckt. In ihrer Nähe würde ich vor einem weiteren Angriff sicher sein. Ich arbeitete mich ans Ufer, rief leise nach Rosa und betete, dass sie unverletzt und in ihrer Panik nicht weggelaufen war. Ein paar Meter weiter ließen sich die Jugendlichen auf einer Bank nieder. Ich hörte, wie Bierflaschen geöffnet wurden und die Kronkorken auf den Weg fielen.
»Rosa«, wiederholte ich meinen Ruf jetzt so laut, dass die Jugendlichen mich hören mussten. »Komm her, bitte …« Ich zitterte am ganzen Körper, meine Zähne schlugen aufeinander, und ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Ich ging in die Knie und weinte. Ich spürte ein Schluchzen in meinem Hals und schluckte dagegen an. War Rosa nach Hause gelaufen? Was sollte ich tun, wenn die Jugendlichen aufstanden und weitergingen? Ich konnte nicht ohne Rosa gehen, aber alleine konnte ich hier auch nicht bleiben. Womöglich lauerte mein Angreifer noch irgendwo in der Nähe.
»Habt ihr eine kleine Hündin gesehen?«, rief ich Richtung der Gruppe.
»Nee«, schallte es zurück.
»Könntet ihr so lange hierbleiben, bis ich sie gefunden habe?«
»Wenn’s keine drei Stunden dauert …« Sie feixten.
Ich schrak zusammen, als Rosa sich plötzlich gegen mich drückte. Dann schlang ich die Arme um ihren kleinen Körper, der noch viel stärker zitterte als meiner. Ich hielt sie fest an mich gepresst und flüsterte in ihr Fell. »Alles gut, hab keine Angst, wir haben es geschafft. In fünf Minuten sind wir zu Hause. Und dann bekommst du ein riesiges Stück Leberwurst.«
Die Angst kam als Welle zu mir zurück und schnürte mir die Kehle zu. Ich nahm Rosa auf den Arm, stand auf und ging zu der Bank. Die drei Gestalten, die dort mit Bierflaschen und Zigaretten saßen, konnte ich nur schemenhaft ausmachen.
»Könntet ihr mich bitte bis zum Ausgang des Parks begleiten? Ich wurde gerade überfallen, und alleine habe ich Angst.« Rosa wehrte sich gegen meinen festen Griff, aber ich hielt sie umschlungen.
»Kein Problem«, hörte ich einen der Jungs sagen. Er schien das Kommando zu haben, denn augenblicklich setzten sich auch seine beiden Kumpane in Bewegung und kamen auf mich zu.
Ich hatte mein Versprechen gehalten und Rosa ein dickes Stück Leberwurst gegeben. Seitdem stand ich unter der Dusche, ließ Unmengen heißen Wassers über mich laufen und versicherte mir immer wieder, dass Haus- und Wohnungstür abgeschlossen waren. Es konnte nichts mehr passieren. Erst als meine Haut knallrot war, trocknete ich mich ab, zog einen flauschigen Schlafanzug an und feilte meine eingerissenen Nägel. Dann machte ich mir einen Kakao und legte mich ins Bett. Rosa leistete mir sofort Gesellschaft.
Ich musste mit jemandem reden. Da Simon noch nicht zu Hause war, rief ich Henrike an.
»Störe ich?«
»Also …« Sie lachte. »Falls es nichts Dringendes ist … ich bin gerade bei Arne und …«
»Kein Problem, dann reden wir morgen.«
»Kris? Ist alles okay bei dir?«
»Alles okay. Grüß Arne von mir.«
»Hey, warte! Was hältst du von einem gemeinsamen Frühstück morgen? Ich bringe Brötchen mit.«
»Gute Idee.«
»Um sieben?«
Ich sah auf die Uhr, es war Viertel vor elf. »Sieben ist gut. Bis morgen dann.«
Mir blieben acht Stunden. Das kam genau hin. Die Wirkung der Schlaftabletten, die ich für Notfälle im Nachttisch aufbewahrte, hielt acht Stunden an. Ich schluckte eine, ließ mich zurück in die Kissen sinken und meinen Tränen freien Lauf, während ich Rosa streichelte.
»Es tut mir so leid, meine Kleine. Ich wünschte, er hätte dich nicht erwischt.«
Sie blinzelte mit halb geschlossenen Augen und drehte sich auf den Rücken.
Dieses Bild war das letzte, an das ich mich am nächsten Morgen erinnerte, als ich von durchdringendem Klingeln und Bellen aus dem Schlaf gerissen wurde. Mit einem Blick auf die Uhr war die Sache klar. Ich sprang aus dem Bett und lief zur Tür.
»Entschuldige«, begrüßte ich Henrike noch leicht benommen.
In weißer Jeans, eng anliegendem, langem T-Shirt und dünner Lederjacke wehte sie herein wie eine frische Brise. Ihre dunklen Haare glänzten seidig. Meine Haare würde ich heute vorsichtig kämmen müssen, meine Kopfhaut tat immer noch weh.
»Verschlafen?« Sie hielt mir die Brötchentüte entgegen. »Das ist ja mal ganz etwas Neues. Zieh dich an, ich mache uns Kaffee und Tee.«
Im Schlafzimmer betrachtete ich
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