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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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Kaum hatte ich mich aufs Sofa gelegt, fielen mir die Augen zu.
    Eineinhalb Stunden später nahm ich mir die Notizen von meinem Besuch bei Martin Cordes vor. Während ich noch einmal die Fakten und Gerüchte durchging, die er über die fünf gesammelt hatte, schob sich immer wieder sein Gesicht vor mein inneres Auge. »Lass die Finger davon!«, wiederholte ich leise Henrikes Worte und vertrieb ihn immer wieder aus meinen Gedanken.
    Also: Nadja Lischka war mehrfach von ihrem Mann Konstantin betrogen worden – unter anderem mit ihrer Freundin Rena Velte. Beate Angermeier hatte ihren Mann mit Fritz Lenhardt betrogen. Christoph Angermeier hatte angeblich eine Patientin sexuell genötigt, und Tilman Velte hatte mit Kundengeldern an der Börse spekuliert. Die beiden Fragen, um die sich für mich alles drehte, lauteten: Wie passte Ben da hinein? Wen hatte der Journalist mit meinem Bruder gesehen?
    Um kurz vor fünf wählte ich die Handynummer von Bens ehemaligem Mitbewohner Matthias.
    »Bist du etwa in Berlin?«, fragte er.
    »Nein, ich habe noch ein paar Fragen wegen Ben. Geht es deinem Sohn inzwischen besser?«
    Er lachte. »Ja. Der Zahn ist da.«
    »Das freut mich. Sag mal, Matthias, kannst du dich erinnern, ob Ben vor seinem Verschwinden eine Liaison mit jemandem hatte? Vielleicht sogar mit einem älteren Mann?«
    Einen Moment war es still in der Leitung, er schien nachzudenken. »Eigentlich glaube ich das nicht. An einem der letzten Abende, an dem wir zusammensaßen, hat er rumgefeixt und gesagt, er habe gerade mal wieder eine seiner enthaltsamen Phasen.«
    »Und es kann dabei nicht um Alkohol gegangen sein?«
    »Nein, es war klar, dass er über Sex sprach. Tut mir leid, Kristina, dass ich dir nicht mehr sagen kann.«
    Es war vertrackt. Ein Mensch verschwand mitten aus seinem Leben, und es gab keine Spur, die zu ihm führte. Es hatte so lange gedauert zu lernen, mit dieser Tatsache zu leben. Verkraftet hatte ich sie längst nicht, ich hatte sie nur unter die Oberfläche verbannt. Und jetzt ging alles wieder von vorne los.
    Ich horchte auf. Nadja Lischka sprach gerade auf meinen Anrufbeantworter. Sie klang verärgert wegen meiner Mail, bemühte sich jedoch um einen freundlichen Ton. Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte das Telefon erneut, und Christoph Angermeier machte sich auf dem AB Luft. Es bestehe Redebedarf, ich solle ihm kurzfristig einen Termin nennen.
    Nachdem er aufgelegt hatte, wählte ich Nils’ Nummer. Er meldete sich sofort. Ich stellte ihm die gleiche Frage wie Matthias. Im Gegensatz zu seinem ehemaligen Mitbewohner schloss er die Möglichkeit eines Liebhabers nicht aus.
    »Ich wusste zwar nicht konkret von jemandem, aber das heißt natürlich nicht, dass es niemanden gab.«
    »Matthias sagte, Ben habe vor seinem Verschwinden angedeutet, dass er gerade enthaltsam leben würde …«
    »Solche Phasen hatte er immer mal wieder. Für mich klang das immer ein bisschen wie Fasten zur Körperreinigung.« Nils lachte. »Das passte so überhaupt nicht zu deinem Bruder.«
    »Aber wenn man immer mal wieder enthaltsam lebt, heißt das doch, dass man dazwischen eben nicht enthaltsam ist. Hatte er sich damals vielleicht gerade von jemandem getrennt?«
    »Klar, das könnte sein.«
    »Aber du hast ihn nie danach gefragt, oder?«
    »Wir haben einfach gelebt, Kristina, und nicht alles hinterfragt. Wenn das alles ist … ich muss hier nämlich weitermachen.«
    »Nils, bitte, denk noch mal nach. Vielleicht ist dir in den vergangenen Jahren noch irgendetwas eingefallen, dem du gar keine große Bedeutung beimisst. Vielleicht gibt es auch etwas, das du damals der Polizei nicht hast sagen mögen?«
    »Glaubst du allen Ernstes, ich hätte damals etwas verschwiegen? Ich habe alles gesagt, was ich wusste – egal ob wichtig oder nicht. Ich wollte genau wie du, dass Ben gefunden wird.«
    »Und da war nichts, was dir später noch eingefallen ist? Ich meine, das mit der Enthaltsamkeit ist ja damals auch nicht zur Sprache gekommen.«
    »Mit Bens Scherzen wollte ich die Kripo nicht verwirren.«
    »Gab es noch mehr solcher Scherze?«
    Als er nicht antwortete, wiederholte ich meine Frage.
    »Du weißt, wie dein Bruder war.«
    »Weiß ich. Nenn mir ein Beispiel.«
    Nils blies Luft durch die Nase. Es klang genervt. »Eines Tages ist zum Beispiel so ein Teenie bei ihm aufgetaucht, der war sechzehn oder siebzehn, hat Ben eine externe Festplatte in die Hand gedrückt und ihm etwas zugemurmelt. Als ich gefragt habe, worum es da ging, hat dein

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