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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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nicht zurückerlangen.«
    Einen Moment lang betrachtete mich mein Vater, als sei ich eine völlig Fremde. »Woher hast du das nur?«
    »Was?«
    »Dieses Vernunftgesteuerte. Kommen dir keine bitterbösen Gedanken, wenn du siehst, was jemand deiner Mutter angetan hat?«
    »Doch, aber ich glaube nicht daran, dass es mir helfen würde, ihnen nachzugeben. Kann ich irgendetwas für dich tun, Papa?«
    Er sah mich lange an und fuhr sich schließlich mit beiden Händen übers Gesicht. »Du warst schon immer so tüchtig und selbstständig. Um dich mussten wir uns nie Sorgen machen.«
    Schon immer?, lag mir die Gegenfrage auf der Zunge. Ich hatte keine andere Wahl, als selbstständig zu werden. Aber es hatte keinen Sinn, darüber zu sprechen, es würde nichts daran ändern. Ich würde ihm nur das Herz schwer machen.
    »Magst du mit Rosa und mir noch eine kleine Runde durch den Park drehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Macht ihr beide das mal alleine.«
    Ich öffnete die Papiertüte, die im Brotkorb lag, nahm ein Brötchen heraus und legte es neben sein Weinglas. »Bitte, Papa, iss wenigstens zwei Bissen.«
    Aber er hatte seinen Blick schon wieder im Weinglas versenkt und sich in sich zurückgezogen.
    Im Park konnte ich zum ersten Mal an diesem Tag durchatmen. Die Dunkelheit hüllte mich ein, ich empfand sie wie einen Mantel, in den ich mich schmiegen und in dessen Schutz ich mich entspannen konnte. Der Boden war wieder trocken, er hatte den Regen vom Wochenende längst aufgesogen. Von der Würm wehte kühle, würzige Luft zu mir herüber. Während Rosa auf Mäusejagd ging, liefen mir vor Erschöpfung Tränen über die Wangen. Auf dem schmalen Grünstreifen zwischen Weg und Würm setzte ich mich auf einen abgesägten Baumstumpf. Als zwei Jogger an mir vorbeiliefen, schnappte ich Wortfetzen ihres Gesprächs auf. Es ging um Smartphones und das neue, schnellere LTE-Netz. Ein Stück hinter ihnen folgte ein weiterer Jogger. Er blieb auf meiner Höhe stehen und band sich den Schuh zu. Aus der anderen Richtung näherten sich mehrere Stimmen, die unverkennbar Jugendlichen gehörten. Ich sah die rot glühenden Enden ihrer Zigaretten, bevor der Rauch zu mir wehte. Rosa raschelte hinter mir im Gebüsch. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, stand ich auf, rief Rosa zu mir und lief weiter.
    Nach fünf Minuten erreichte ich eine meiner Lieblingsstellen, wo der Weg direkt am Wasser entlangführte. Ich blieb stehen und schaute in den Himmel. Genau in diesem Moment kam der Mond hinter einer Wolke hervor. Er war im Abnehmen begriffen und zeigte sich nur als schmale Sichel. Am Ufer ging ich in die Hocke und ließ mit einem leisen Plopp einen Stein ins Wasser fallen. Ein paar Meter weiter scheuchte Rosa ein Entenpärchen auf, das mit Getöse davonstob. Normalerweise hätte sie dafür eine Standpauke bekommen, aber an diesem Abend war ich zu erschöpft und drückte ein Auge zu.
    Der Schlag in den Nacken kam aus dem Nichts. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass es kein Schlag gewesen war, sondern eine Hand, die mich wie ein Schraubstock packte und auf die Knie zwang. Eine zweite Hand hielt meinen Mund zu. Ich versuchte sie wegzuzerren, mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, grub ich meine Nägel reflexartig in den dicken Handschuh der Hand auf meinem Mund. Die andere zerrte mich an den Haaren Richtung Wasser. Rosa musste ganz nah sein, sie bellte wie verrückt, bis ihr Bellen schließlich in einem Jaulen erstarb. Er musste ihr einen Tritt verpasst haben.
    Meine Angst ließ mich ins Bodenlose fallen. Ich kämpfte mit meinen Nägeln gegen festes, unnachgiebiges Leder. Mein Kopf wurde unter Wasser getaucht. Ich fuchtelte mit den Armen, schlug mit den Händen auf die Wasseroberfläche und holte kurz Luft, als ich an den Haaren aus dem Wasser gerissen wurde. Der Moment reichte für einen verzweifelten Atemzug durch die Nase, dann war mein Kopf wieder unter Wasser. Um mich war alles schwarz, in meinen Ohren rauschte es, alles in mir schrie nach Luft. Wieder kam ich nach oben, wieder ein kurzer Atemzug, bevor ich erneut untergetaucht wurde. Dann lösten sich beide Hände von mir. Augenblicklich trieb die Strömung mich ab. Ich fand mit den Füßen Halt, stemmte mich nach oben und füllte meine Lungen mit Luft. Mitten in der Strömung stehend, suchte ich panisch nach meinem Angreifer. Bis ich laute Stimmen hörte, die grölten und lachten. Ich sah den Lichtschein von Handydisplays. Erst glaubte ich,

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