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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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mich vor dem Spiegel und war erstaunt, dass ich ohne sichtbare Blessuren davongekommen war. Ich konnte keine einzige Schramme entdecken. Trotzdem fühlte mein Körper sich an, als hätte er Leistungssport betrieben. Ich schlüpfte in Jeans und T-Shirt und fasste meine Haare mit einer großen Spange zusammen.
    In der Küche mischten sich die Düfte von Moschus und Kaffee. Henrike stand mit dem Rücken zu mir an der Arbeitsplatte und goss Kaffee in den einen Becher, Tee in einen zweiten. Wir setzten uns an den gedeckten Tisch. Henrike nahm sich ein Brötchen, teilte es in zwei Hälften und bestrich jede mit Butter.
    »War es schön bei Arne?«, fragte ich.
    »Wenn ich nicht aufpasse, verliebe ich mich noch in ihn.«
    »Dann bin ich dafür, dass du nicht aufpasst.«
    »Ich weiß so gut wie nichts über ihn.« Henrike verzog das Gesicht.
    »Ich weiß auch so gut wie nichts über dich, und trotzdem bist du meine Freundin.«
    »Du hast mich nie nach meiner Vergangenheit gefragt.«
    »Ich hatte immer das Gefühl, dass du nicht darüber sprechen willst.«
    »Trotzdem ist es ungewöhnlich.«
    »Du bist hierhergekommen und hast gesagt, du möchtest neu anfangen. Für die meisten Menschen heißt das, dass sie die Vergangenheit hinter sich lassen wollen. Das kann ich nur zu gut verstehen.«
    »Du machst es einem leicht, mit dir befreundet zu sein«, sagte Henrike mit einem Lächeln und biss in ihr Brötchen.
    »Da gibt es durchaus gegenteilige Meinungen.«
    Sie beugte sich vor und forschte in meinem Gesicht. »Du siehst irgendwie mitgenommen aus heute Morgen. Ist es wegen der Bonsais? Machen sie dir immer noch zu schaffen?«
    »Mehr noch machen sie meiner Mutter zu schaffen.« Ich nahm einen Schluck Kaffee und hielt den Becher mit beiden Händen umfasst. »Ich bin gestern Abend überfallen worden.«
    Henrike legte ihr Brötchen auf den Teller. »Was bist du?«
    »Jemand hat mich im Park überfallen, als ich mit Rosa noch eine letzte Runde gedreht habe.«
    Sie beugte sich näher zu mir. »Geht das etwas genauer?«
    »Ich hab an der Würm gestanden und Steinchen geworfen, als mich plötzlich jemand von hinten gepackt und mit dem Kopf unter Wasser gedrückt hat.« Augenblicklich begannen meine Hände wieder zu zittern.
    Henrike war nicht leicht zu schrecken, aber diese Nachricht schien ihr zuzusetzen. Sie zog eine Zigarette aus der Brusttasche ihrer Lederjacke und drehte sie zwischen den Fingern. »Warum, um alles in der Welt, hast du gestern Abend am Telefon nichts davon gesagt? Ich wäre sofort zu dir gekommen!«
    »Da war ich längst wieder hier und in Sicherheit. Außerdem wollte ich dir den Abend mit Arne nicht verderben.« Ich wischte mir eine Träne aus dem Gesicht.
    »Arne hätten keine zehn Pferde davon abhalten können, mitzukommen. Bei ihm hast du einen riesigen Stein im Brett.«
    Ich musste lächeln und spürte, wie sich meine Gesichtsmuskeln entkrampften. »Ich habe eine Schlaftablette genommen und tief und fest geschlafen.«
    »Um wie viel Uhr ist es passiert?«
    Ich überlegte. »Um kurz nach neun etwa.«
    »Hast du den Angreifer erkannt?«
    »Ich habe ihn noch nicht einmal gesehen. Er war die ganze Zeit hinter mir.«
    »Bist du sicher, dass es ein Mann war?«
    »Sicher sein kann ich mir natürlich nicht, es gibt schließlich auch kräftige Frauen.« Ich zuckte mit den Schultern.
    »Hat er etwas gesagt?«
    »Nein.«
    »Nicht einmal einen unterdrückten Laut?«
    »Nein, nichts.«
    »Hast du eine Vorstellung von seinen Körpermaßen?«
    »Ich habe nur seine Hände gespürt. Mit der einen hat er mich erst im Nacken und an den Haaren gepackt. Mit der anderen hat er mir den Mund zugehalten.« Ich überlegte. »Er trug Lederhandschuhe und irgendetwas Langärmeliges.«
    »Er hat dich zum Wasser geschleift und mit dem Kopf untergetaucht. Und dann?«
    »Dann hatte er mich plötzlich losgelassen.«
    »Hast du eine Ahnung, warum?«
    »Ich nehme an, er wollte von den Jugendlichen, die den Weg entlangkamen, nicht entdeckt werden.«
    »Hast du irgendjemanden gesehen, als du in den Park gegangen bist?«
    Ich atmete tief durch und sah sie ungläubig an. »Übst du hier gerade für deinen Krimi? Ich komme mir vor wie im Polizeiverhör.«
    »Jetzt sind deine Erinnerungen noch frisch. Also: Hast du jemanden gesehen?«
    »Zwei Jogger sind an mir vorbeigelaufen. Dann noch einer, und außerdem waren da diese Jugendlichen.« Ich blinzelte in die Sonne, die sich in diesem Augenblick vors Fenster schob.
    »Was ist mit dem einzelnen Jogger?

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