Das verwundete Land - Covenant 04
Herz. »Bitte«, sagte er leise. »Sag mir, weshalb du so stark darunter leidest.«
»Ich kann mich nicht dagegen verschließen.« Hände, Arme, Schultern – jeder Teil ihres Körpers war in eine Starre ebenso unerwünschten wie unabweisbaren Mitleidens verfallen. »Es ist, als ob das alles auch mit mir geschieht. Ich kann die Bäume sehen ... sie fühlen. In mir. Irgendwie ist's zu persönlich. Ich kann's nicht aushalten. Es bringt mich um.«
Covenant hätte sie gerne berührt, wagte es jedoch nicht. Sie war zu empfindsam. Möglicherweise war sie dazu fähig, in der Berührung seiner Finger die Leprose zu erahnen. Einige Augenblicke lang erwog er sein Verlangen, ihr von Kevin zu erzählen. Aber unter Umständen würde sie diese Geschichte als Leugnung ihres Leids auffassen. Doch er wußte, was er ihr bieten konnte. »Linden«, sagte er, indem er insgeheim über die Schwierigkeiten dessen aufstöhnte, was er zu eröffnen hatte, »Lord Foul hat zu mir gesprochen, als wir von ihm ins Land geholt worden sind. Du hast ihn nicht gehört. Ich werde dir erzählen, was er gesagt hat.«
Linden rang die Hände; sonst reagierte sie nicht auf seine Äußerungen. Nach einem mühsamen Ansatz begann er die kalten, wütig-geringschätzigen Worte des Verächters zu wiederholen. Ah, du bist noch voller Trotz. Er entsann sich an jedes einzelne Wort, jedes Tröpflein gehässiger Giftigkeit, jeden Ton der Verachtung. Die Erinnerung befiel ihn wie eine Offenbarung, überkam seinen Abscheu, betäubte ihm das Herz. Er unternahm keinen Versuch, sich nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Er wollte, daß Linden alles hörte. Da er ihr keinen Trost zu spenden vermochte, lag ihm daran, daß sie zumindest sein Gefühl der Zweckbestimmtheit mit ihm teilte. Wenn es zum Letzten kommt, wirst du das Werkzeug meines Sieges sein. Während Covenants Worte auf sie eindrangen, zog Linden sich immer mehr in sich selbst zurück, schlang die Arme um die Knie, verbarg auf ihnen das Gesicht; sie schrak vor dem, was er vortrug, zurück wie ein banges Kind. Dich erwartet Verzweiflung, die jedes Maß übersteigt, das dein kleines sterbliches Herz zu erdulden vermag!
Doch im Laufe seines Vortrags hatte er unmißverständlich den Eindruck, daß sie ihn kaum hörte, ihre Reaktion in Wirklichkeit rein privater Natur war, mit etwas in ihr selbst zusammenhing, von dem er keinerlei Ahnung hatte. Halb erwartete er, sie werde in Gewimmer ausbrechen. Sie wirkte so um selbst den schlichtesten Instinkt für Tröstliches gebracht. Sie hätte sich nun mit Zorn gegen den Verächter aufrechthalten können, wie Covenant es tat; jedoch hatte es den Anschein, als wäre so ein Ausweg für ihre komplexen Seelenqualen ohne Bedeutung. Sie saß bloß zusammengesunken da und zitterte vor sich hin, versagte sich sogar jeden Laut.
Schließlich konnte Covenant es nicht länger ertragen, sie nur anzuschauen. Er kroch zu ihr hinüber, als liefere er sich selber der Verdammnis aus, setzte sich neben sie. Entschieden löste er ihre Rechte aus der Verklammerung, legte sie um seine Halbhand, so daß sie den Griff um seine verstümmelte Menschlichkeit nicht lockern konnte, ohne sich selbst loszulassen. »Leprotiker sind nicht gefühllos«, sagte er leise. »Nur der Körper verliert das Gefühl. Der Rest kompensiert den Verlust. Ich möchte dir helfen, und ich weiß nicht wie.« Quäl dich nicht so , dachte er, während er redete.
Irgendwie drang die Berührung seiner Hand oder das Mitgefühl in seiner Stimme zu ihr durch. Wie durch die übermächtige Willensanstrengung begann sie ihre Muskeln zu entkrampfen, die Knoten ihrer Qual zu lösen. Zittrig atmete sie ein, ließ die Schultern herabsinken. Aber nach wie vor hielt sie sich an seiner Hand, umfaßte die Stelle seiner amputierten Finger, als sei diese Amputation das einzige an ihm, das sie zu begreifen vermochte.
»Ich glaube nicht an das Böse.« Die Stimme schien ihr durch die Kehle zu schrammen und blutbeschmiert zum Vorschein zu kommen. »So sind die Menschen nicht. Diese Welt hier ist krank . Lord Foul ist bloß jemand, den du dir ausgedacht hast. Wenn man jemandem die Schuld an der eigenen Krankheit zuschiebt, statt sie als das zu nehmen, was sie ist, kann man sich vor der Eigenverantwortung drücken. Man braucht gar nicht erst zu versuchen, dem Schmerz ein Ende zu machen.« Ihre Worte waren ein Vorwurf, doch ihr Griff um seine Hand widersprach ihnen. »Auch wenn dies ein Traum ist.«
Covenant vermochte nicht zu antworten. Wenn
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