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Das verwundete Land - Covenant 04

Das verwundete Land - Covenant 04

Titel: Das verwundete Land - Covenant 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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wie hölzerne Artikulationen seines Willens, folgten die Gefangenen ihm wie stumpfsinnig aus der steinernen Grube. Von neuem durchquerten sie Gänge, die keine Bedeutung besaßen, kreuzten Schwellen, die nur den Sinn zu haben schienen, sofort wieder vergessen zu werden. Bald betraten sie ein Gewölbe, das auf beiden Seiten weithin gesäumt war mit eisernen Türen. Kleine Gitterfenster in den Türen gewährten in jede Zelle Einblick, aber Linden war dazu außerstande, einen Blick auf irgendwelche anderen Gefangenen zu werfen. Santonin sperrte erst Sunder ein, danach Hollian. Ein Stück weiter längs der Reihe von Türen führte er auch Linden in eine Zelle.
    Linden stand hilflos und mit entblößter Seele vor einer Pritsche mit modrigem Stroh, während Santonin sie musterte, als sänne er über den Preis seines Trachtens nach. Ohne Ankündigung löschte er die Glut seines Rukh . Sein Wille wich aus Lindens Bewußtsein, ließ sie so leer zurück, daß sie sich nicht auf den Beinen halten konnte. Als sie auf die Pritsche sackte, hörte sie Santonin leise lachen. Dann knallte die Tür zu, Riegel knirschten. Linden blieb in ihrer Zelle so allein, als gäbe es darin überhaupt nichts anderes als die von Läusen durchwimmelte Pritsche und den nackten Stein der Wände.
    Sie lag zusammengekrümmt, in fötaler Haltung, auf dem Stroh, während die Zeit mit der gleichen Indifferenz verstrich, mit der sie ringsum der Granit Schwelgensteins einschloß. Sie ähnelte einer geborstenen Kürbisflasche, konnte sich nicht selber wieder auffüllen. Es graute ihr davor, nur den Versuch zu wagen, sie empfand Grausen davor, an überhaupt irgendeinen Versuch zu denken. Entsetzen hatte sich tief in ihrer Seele festgefressen. Sie wünschte sich nichts als Stille und Dunkelheit, den Frieden des Nichts. Doch nicht einmal ihn vermochte sie zu erlangen. Gefangen im Fegefeuer zwischen Abscheu und Tod, kauerte sie inmitten ihrer eigenen Leere und wartete darauf, daß die Gegensätze ihres Dilemmas sie zerrissen.
    Wärter kamen und gingen, brachten ihr ungenießbares Essen und schales Wasser, aber sie fand nicht einmal soweit zu sich selbst zurück, um darauf zu achten. Sie war taub für das Klirren von Eisen, das das Erscheinen der Wärter begleitete, die Ankunft oder das Abholen anderer Gefangener. Eisen bedeutete nichts. Stimmen waren keine zu hören. Auf Stimmen hätte sie gelauscht. Ihr Verstand suchte benommen nach irgendeinem Erinnerungsbild, das als Stütze ihrer geistigen Gesundheit dienen mochte, einem Namen oder irgendeinem sonstigen Mittel, um die verlorene Identität wiederzufinden. Aber alle Bilder, alle Namen schienen ebenfalls verlorengegangen zu sein. Ihre Zelle kannte keine Antworten.
    Dann endlich erklang eine Stimme; in Lindens Ohren glich sie dem Aufschrei eines Gefangenen, der sich befreit hatte. Sie vernahm sie durch den Schleier ihres Stupors, klammerte sich an ihr fest. Indem sie gegen die Verkrampfung ihrer Bewegungsarmut ankämpfte, sich der Marter des Hungers und Durstes widersetzte, schleppte sie sich wie eine Gehbehinderte zur Tür. Jemand sprach in ausdruckslosem Ton. Eine derartige Stimme hatte Linden noch nie gehört. Sie war so froh über ihren Klang, daß sie zunächst kaum auf die Worte achtete. Sie zog sich an der Tür zu den Gittern des Fensterchens hoch, da drang ihr der Inhalt der Äußerungen ins Bewußtsein.
    »Ur-Lord Thomas Covenant«, sagte die Stimme, »Zweifler und Träger des Weißgoldes, dir entbiete ich meinen Gruß. Man denkt deiner unter den Haruchai .« Der Mann, der da sprach, stak voller Unnachgiebigkeit, trotzte dem eigenen harten Schicksal. »Ich bin Brinn. Wirst du uns befreien?«
    Covenant! Sie hätte seinen Namen geschrien, wäre ihre Kehle nicht zu ausgedörrt gewesen, um nur ein Wispern hervorzubringen. Im folgenden Augenblick hörte sie Eisen auf Fleisch prallen. Covenant! Eine Gestalt fiel auf den Steinboden. Wärter stapften umher. Linden reckte sich an das Gitterfenster empor und preßte das Gesicht ans Gestänge, suchte etwas zu erkennen; aber niemand begab sich in ihr beschränktes Blickfeld. Einen Moment später stampften Füße, deren Besitzer eine schwere Last trugen, zum Kerker hinaus, ließen Linden allein in einem Käfig des Schweigens zurück.
    Sie wollte schluchzen; selbst das wäre für sie ein Fortschritt gewesen. Sie hatte einen Namen gehört, der die Leere in ihr füllen konnte. Covenant. Hilflosigkeit und Hoffnung. Covenant lebte noch. Er war hier. Er konnte sie retten.

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