Das verwundete Land - Covenant 04
einmal hervor, als wäre sie in ein Gebrabbel verfallen. »Du bist krank. Das alles ist nur Krankheit. Bloß ein Leiden. Du hast irgendein Leiden. Das deinen Geist kaputtmacht. Stoffwechselbedingter Wahnsinn. Eine chemische Störung im Gehirn. Du weißt nicht, was du da redest. Ich glaube nicht an das Böse! «
»Nicht?« Der Wütrich zeigte sich leicht belustigt. »Wahrscheinlich?! Zumindest diese Unwahrheit muß ich widerlegen.« Er näherte sich Linden wie eine Woge von Geschlächter. »Du hast einen Mord begangen. Bist du also nicht schlecht?«
Er breitete die Arme aus, als beabsichtige er, sie zu umarmen. Er hatte kein Gesicht, keine Hände. Eine lichte Halluzination am Ende des Ärmels seiner Robe streckte sich Linden entgegen, streichelte ihre Wange. Aus der Berührung erblühte ihr Grauen gleich einem Nachtschattengewächs der Seele. Zähflüssiges Übel vereiste ihr Gesicht, breitete Eis über ihre Sinne, als fände eine Verkettung und Vervollkommnung all ihres instinktiven Widerwillens statt. Der Abscheu durchloderte sie und verwandelte sich in Wahrheit. Die Wahrheit des Verächtertums. Schlechtigkeit eiterte über ihre Gesichtszüge, verdarb ihre Selbstzucht wie ihre Schönheit, machte das verderbt, was sie war. Das Sonnenübel leuchtete in ihrem Fleisch: Dürre, Seuchen, das Schreien von Bäumen. Linden hätte aus vollem Hals geheult, wäre ihr noch eine Stimme verfügbar gewesen.
Sie floh. Es gab keine andere Verteidigung. In ihrem eigenen Innern ergriff sie die Flucht. Sie schloß ihre Augen, die Ohren, ihren Mund, versiegelte die Nerven ihrer Haut, verbarrikadierte jeden Eingang zu ihrem Geist. Nein. Entsetzen verlieh ihr die Kraft zur Paralyse. Niemals. Indem sie sich selbst mit Blindheit, Taubheit und Gefühllosigkeit schlug, versank sie in Finsternis, als wäre sie der Tod, das unausweichliche Erbe ihrer Geburt. Nie wieder.
16
Die Weissagung der Wegwahrer
Ich werde es nicht tun! Covenant versuchte wild, sich aufzusetzen, strampelte gegen Decken, die seine Bewegungen einschränkten, kämpfte gegen Hände, die ihn niederdrückten. Ich werde ihn niemals hergeben! Blindwütig rang er um Freiheit. Doch unüberwindbare Mattigkeit hielt ihn dort fest, wo er lag. Eine vergangene Erinnerung an Schmerz lähmte seinen rechten Arm. Es ist mir gleich, was du mit mir anstellst!
Das Gras unter ihm war saftig-weich und duftig. Er konnte sich den Händen nicht widersetzen. Unbestimmt verwaschene Sicht erhellte die Dunkelheit. Das über ihn gebeugte Gesicht war sanftmütig und menschlich. »Bewahre Ruhe, Ringträger«, sagte der Mann freundlich. »An diesem Zufluchtsort wird kein Übel dich ereilen. Du wirst genug Zeit für deine dringlichen Anliegen haben, sobald du dich stärker erholt hast.«
Die Stimme zerstreute Covenants Verzweiflung. Der natürliche Duft des Grases beruhigte ihn und spendete ihm einen gewissen Trost. Über seine Lippen kam ein Gemurmel, daß er Linden folgen müsse, aber nicht einmal er selbst konnte es hören.
Als er das nächste Mal aufwachte, kehrte sein Bewußtsein allmählich ganz zurück, seine Besinnung kehrte vollends wieder. Sobald er die Augen aufschlug, konnte er sehen. Nachdem er einen Moment lang das glatte steinerne Gewölbe über ihm angeblinzelt hatte, begriff er, daß er sich unter der Erde aufhielt. Trotz der Tatsache, daß er auf frischem Gras lag, stand fest, daß diese geräumige Höhle aus dem Felsgestein des Erdinnern gehauen worden war; die Helligkeit stammte von Feuerbecken in den Ecken der Kaverne. Das Gesicht, das er schon einmal erblickt hatte, fand sich von neuem bei ihm ein. Der Mann lächelte ihm zu, half ihm beim Aufsitzen. »Sei behutsam, Ringträger. Du warst dem Tode nah. Diese Schwäche wird nur langsam von dir weichen.« Der Mann gab Covenant eine Schale voll dunkler Flüssigkeit zwischen die Hände und veranlaßte ihn mit gelindem Nachdruck zum Trinken. Der Trank besaß einen mostigen, fremdartigen Geschmack; aber während er die Leere seines Magens füllte, verlieh er ihm einige Stetigkeit.
Er begann sich genauer umzuschauen. Sein Lager befand sich in der Mitte der Felskammer, erhob sich über den Boden wie ein Katafalk aus Gras. Das gewachsene Gestein der Felswände und des Deckengewölbes war sorgsam ausgeformt und geglättet worden. Die Decke war nicht hoch, aber er würde aufrecht stehen können.
An zwei gegenüber befindlichen Wänden der Räumlichkeit sah er niedrige Durchgänge. Die Feuerbecken bestanden aus schmucklosem
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