Das verwundete Land - Covenant 04
Doch wußte er nicht, daß es galt, sie zu retten. Für einige Zeit, die ziemlich lange zu dauern schien und voller qualvoller Zermürbung war, lehnte Linden matt an der Tür, während ihr Brustkorb von trockenen Schluchzern bebte und ihr Herz sich an das Bild Thomas Covenants krallte. Er hatte Joan zugelächelt. Allem gegenüber war er anfällig, und doch wirkte er unüberwindbar. Sicherlich hatten die Wächter ihn nicht umgebracht? Vielleicht doch. Vielleicht nicht. Sein Name selbst bedeutete für Linden bereits Hoffnung. Er gab ihr gleichsam etwas, das sie sein konnte, restaurierte Bestandteile der Person, die sie war. Als Erschöpfung ihr Schluchzen zum Verstummen brachte, kroch sie zu dem Gefäß mit Wasser und trank es leer, dann verzehrte sie soviel von dem abgestandenen Fraß, wie sie hinabzuwürgen vermochte. Danach schlief sie für eine Weile.
Das nächstmalige Geklirr von Eisen riß sie aus dem Schlummer. Jemand zerrte die Riegel der Tür beiseite. Lindens Herz hämmerte, als sie sich von der Pritsche wälzte und verzweifelt hochraffte. Covenant ...? Die Tür schwang auf. Der Wütrich betrat die Zelle.
Er schien keine Gesichtszüge zu besitzen, keine Hände; wo immer seine Gewandung die Haut unbedeckt ließ, entströmten seinem Fleisch solche Emanationen von Bösartigkeit, daß es Linden unmöglich war, sein Äußeres wahrzunehmen. Schlechtigkeit versengte die Luft zwischen ihnen, drängte Linden rückwärts gegen die Wand. Der Wütrich stank nach Marid, nach wutentbrannten Bienen. Nach Joan. Sein Atem verpestete das Innere der Zelle mit Fäulnis und Übel. Als er sprach, schien seine Stimme in Lindens Ohren zu vermodern.
»So hat's denn den Anschein, deine Begleiter haben gelogen. Ich bin erstaunt. Es dünkte mich, alle Bewohner des Landes seien Memmen und Kinder. Doch gleichwohl. Das Zugrunderichten von Memmen und Kindern ist ein geringes Vergnügen. Ich seh's lieber, wenn meinen Opfern die Torheit der Tapferkeit zu eigen ist. Zum Glück jedoch wird der Zweifler ...« – er äußerte die Bezeichnung voller Hohn – »keinen Versuch zu deiner Befreiung unternehmen. Er weiß nichts von deinem Schicksal.« Linden versuchte, sich rücklings in den Stein zu drücken, durch den unerbittlich harten Granit zu entweichen. Aber durch ihren Körper, sterblich und nutzlos, blieb sie auf den Blick des Wütrichs gespießt. Sie konnte nicht einmal die Augen vor ihm verschließen. Sein Blick glühte an ihren Nerven entlang, brannte sich ihr ein, erniedrigte ihre Seele mit dem Siegel seiner Erwartung.
»Aber auch er hat kaum Bedeutung«, sprach der Wütrich in einem Tonfall wie fauliges Wasser weiter. »Allein sein Ring zählt. Er wird keine Wahl haben, als ihn herauszugeben. Er hat sich bereits verkauft, und keine Macht unterm Bogen der Zeit kann verhindern, daß er der vollkommensten Verzweiflung anheimfällt. Nein, Linden Avery.« Ohne Pause wandte der Wütrich sich wieder direkt an sie. »Laß all deine auf Thomas Covenant gerichtete Hoffnung fahren. Der letztendliche Untergang des Landes wird auf deinen Schultern lasten.«
Nein! Sie besaß keinerlei Schutz gegen soviel Verderbtheit. Nacht belauerte sie, grausamer als jede andere Art von Dunkelheit – Nacht, so alt wie der Schmerz von Kindern, von Eltern, die zu sterben wünschten. Niemals!
»Du bist besonders für dies Werk der Zerstörung auserwählt worden. Geschmiedet wirst du, wie man Eisen schmiedet, um die Vernichtung der Erde herbeizuführen.« Seine Stimme verletzte all ihr Fleisch. »Du bist auserwählt worden, Linden Avery, weil du sehen kannst. Weil du für das empfänglich bist, was kein anderer im Lande mehr wahrzunehmen vermag, bist du auch dafür empfänglich, geschmiedet zu werden. Durch Auge, Ohr und Tastsinn wirst du zu dem gemacht, dessen der Verächter bedarf. Indem du dich gegen die Vernichtung aufbäumst, wirst du alle Vernichtung bewerkstelligen. Ich werde an diesem Werk des Verderbens meine Freude haben. Deshalb kündige ich dir dein Geschick an. So daß du das Unheil kennst, das droht, und dennoch unfähig bist, es abzuwenden. Auf daß der Verächter, während er zusieht, wie du's abzuwenden versuchst, dich in Verachtung und Triumph verlachen mag.«
Nein. So etwas war unmöglich. Sie war Ärztin; dergleichen zu tun, konnte man sie nicht zwingen. Keine Macht, keine Gerissenheit, keine Bosheit konnte sie dazu zwingen, etwas anderes als das zu sein, was sie sein wollte. Niemals! Ein Schwall von Worten staute sich in ihr, sprudelte auf
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