Das verwundete Land - Covenant 04
gefesselt, die es ihr ermöglichten, sich aufzusetzen oder auszustrecken, es jedoch nicht gestatteten, die eine an die andere Hand zu bringen. Das lange baumwollene Nachthemd, das ihre dürren Glieder bedeckte, war durch beständiges Aufbäumen um sie gewickelt worden. An einem silbernen Kettchen hing ein Ehering aus Weißgold um ihren Hals.
Sie achtete nicht auf Covenant. Ihr Blick zuckte Linden entgegen, und wahnwitzige Wut verzerrte ihr Gesicht. In ihren Augen saß Wildheit, es waren die Augen einer geistig umnachteten Löwin. Gewimmer stöhnte durch ihre Kehle. Die bleiche Haut spannte sich straff über ihre Knochen.
Gefühlsmäßiger Abscheu flößte Linden Entsetzen ein. Sie vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen. An so barbarische Wildheit war sie nicht gewöhnt. Sie verstieß gegen ihre gesamten Vorstellungen von Krankheit oder Leid, lähmte Linden in ihrem Handeln. Hier lag keine herkömmliche menschliche Gesundheitsstörung, kein Leiden vor, gesteigert bis zur Verzweiflung; dies war nackte, ungestüme Unbändigkeit, geballt und mörderisch. Linden mußte sich zum Nähertreten richtiggehend zwingen. Doch als sie sich der Frau nahte und versuchsweise eine Hand ausstreckte, biß Joan nach ihr wie eine angebundene Katze. Unwillkürlich schrak Linden zurück.
»Lieber Gott!« keuchte sie. »Was ist denn mit ihr nicht in Ordnung?«
Joan hob den Kopf und gab einen Schrei von sich, der an die Qualen der Verdammten denken ließ.
Covenant brachte kein Wort heraus. Kummer entstellte seine Gesichtszüge. Er suchte Joans Seite auf. Indem er an dem Knoten nestelte, band er Joans linke Hand los, machte ihren Arm frei. Augenblicklich schlug sie mit den Fingernägeln nach ihm, reckte ihren ganzen Körper, um ihn erreichen zu können. Covenant wich ihr aus, packte ihren Unterarm.
Linden sah mit lautlosem inneren Jammern zu, wie er Joan gestattete, mit ihren Fingernägeln seinen rechten Handrücken aufzureißen. Blut quoll aus den Kratzwunden. Joan beschmierte sich die Finger mit dem Blut. Dann zuckte die Hand an ihren Mund, und sie begann das Blut mit der Gier einer Süchtigen abzulecken.
Der Geschmack des Blutes stellte anscheinend ihre geistige Klarheit wieder her. Fast unverzüglich verschwand der Wahnsinn aus ihrer Miene. Ihr Blick milderte sich, ihre Augen füllten sich mit Tränen; ihre Lippen bebten. »Oh, Tom«, klagte sie schwächlich. »Es tut mir so leid. Ich kann nichts ... Er ist in meinem Geist, und ich kann ihn nicht verscheuchen. Er haßt dich. Er macht ... macht mich ...« Sie schluchzte stoßweise. Ihr lichter Moment war für sie sichtlich ein grausames Erlebnis.
Covenant setzte sich neben ihr auf das Bett und legte seine Arme um sie. »Ich weiß.« Seine Stimme verlieh dem Zimmer Schmerzlichkeit. »Ich versteh's.«
»Tom ...« Sie weinte. »Tom, hilf mir.«
»Das werde ich tun.« Sein Tonfall verriet, daß er jede Prüfung auf sich zu nehmen gedachte, jedes Opfer zu bringen, jedes Verbrechen zu begehen. »Sobald er bereit ist. Ich werde dich von ihm befreien.«
Allmählich entkrampften sich Joans gebrechlich gewordene Gliedmaßen. Ihr Schluchzen verebbte. Sie war erschöpft. Als Covenant sie aufs Bett hinstreckte, schloß sie die Lider und schlief ein, die Finger im Mund wie ein Kind.
Covenant entnahm einer Schachtel, die auf einem Tisch nahe beim Bett stand, ein Tüchlein und preßte es auf seinen Handrücken. Dann zog er sanft Joans Finger aus ihrem Mund und fesselte wieder ihr Handgelenk. Erst anschließend hob er seinen Blick zu Linden.
»Es schmerzt nicht«, sagte er. »Meine Handrücken sind schon seit vielen Jahren gefühllos.« Das Gemartertsein war mittlerweile aus seiner Miene gewichen; sie zeigte nun nichts außer der lange angestauten Müdigkeit einer Quälerei, die er nicht zu beheben vermochte.
Während Linden zuschaute, wie das Tüchlein das Blut aufsaugte, war sie sich darüber im klaren, daß eigentlich sie es sein sollte, die seine Verletzung behandelte. Doch ein wesentlicher Teil ihrer selbst hatte versagt, sich Joans Heimsuchung als nicht gewachsen erwiesen; sie brachte es nicht über sich, Covenant anzufassen. Sie wußte für das, was sie hier mitangesehen hatte, keine Erklärung. Einen Moment lang konnte sie aus Tränen der Hilflosigkeit nicht richtig sehen. Nur die alte Gewohnheit ihrer Strenge verhinderte, daß sie wirklich zu weinen anfing. Allein die Not der Situation hinderte sie daran, einfach hinaus in die Nacht zu fliehen. »Und nun werden Sie mir endlich
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