Das verwundete Land - Covenant 04
verraten«, fühlte sie sich dadurch grimmig zu fordern bewogen, »was es mit ihr auf sich hat.«
»Ja«, antwortete Covenant leise. »Das werde ich wohl.«
3
Erfülltes Versprechen
Covenant geleitete Linden wortlos nach vorn ins Wohnzimmer. Seiner Hand, die sie sachte am Arm führte, ließ sich Scheu anmerken, als fürchte er schon diese harmlose menschliche Berührung. Sobald Linden auf dem Sofa saß, deutete er auf seine Verletzung und ließ sie allein. Linden war froh darum, für einen Moment allein sein zu dürfen. Ihr Versagen hatte sie außer Fassung gebracht; sie brauchte Zeit, um sich wieder auf sich selbst zu besinnen.
Was war mit ihr geschehen? Sie verstand das Böse als solches nicht, sie glaubte nicht einmal an diesen Begriff; und doch hatte sie es vorhin in Joans räuberischer Gier erblickt. Gemäß ihrer Ausbildung war sie darauf eingestellt, die Welt in den technischen Termini von Funktionsstörungen und Erkrankungen wahrzunehmen, von Medikation und Behandlung, Erfolg oder Tod. Wörter wie gut oder böse bedeuteten ihr nichts. Aber Joan ...! Woher mochte so bösartige Wildheit stammen? Und wie ...?
Als Covenant zurückkam, die Rechte mit einem weißen Verband umwickelt, starrte sie ihn an, forderte stumm Aufschluß. Er blieb vor ihr stehen, mied ihren Blick. Die Mattigkeit seiner Körperhaltung verlieh ihm ein Aussehen von Verlassenheit; die Haut an seinen Augenwinkeln war gefurcht, als runzle sie ihm der Verdruß. Aber seinem Mund war gewohnheitsmäßiger Trotz eingefleischt; er war verzerrt von innerer Verweigerung. »Jetzt sehen Sie«, sagte er nach einem Moment gedämpft, »weshalb ich nicht wollte, daß Sie von ihrem Zustand erfahren.« Er begann hin- und herzuschreiten. »Niemand weiß davon ...« Die Äußerungen kamen über seine Lippen, als müsse er sie der Abgeschiedenheit seines Herzens mühselig entringen. »Außer Berenford und Mrs. Roman. Das Gesetz ist Leuten, die andere Menschen gefangenhalten, nicht gerade günstig gesonnen. Ich besitze keinerlei Rechte, was Joan angeht. Eigentlich müßte ich sie den zuständigen Stellen überantworten. Aber ich habe so lange ohne die Vorzüge der Gesetze auskommen müssen, daß das alles mir völlig gleichgültig ist.«
»Was fehlt ihr?« Linden vermochte nicht das Zittern aus ihrer Stimme fernzuhalten; sie war zu verkrampft, um ruhig sprechen zu können.
Covenant seufzte. »Sie hat den Drang, mich körperlich zu verletzen. Sie ist regelrecht verrückt danach ... deshalb verhält sie sich so gewalttätig. Das ist der beste Weg, den sie sieht, um sich selbst zu bestrafen.«
Mit einem Ruck fing Lindens analytisches Gespür sich wieder bemerkbar zu machen an. Paranoia , sagte sie sich mit insgeheimem Stöhnen. Er ist paranoid. »Aber wieso denn?« hakte sie laut nach. »Was ist mit ihr passiert?«
Covenant blieb stehen und musterte sie, als wolle er ihre Empfänglichkeit für die Wahrheit einschätzen, dann setzte er sein Hin- und Herwandern fort. »Natürlich betrachtet Berenford den Fall ganz anders«, sagte er leise. »Er meint, es handle sich um ein psychiatrisches Problem. Der einzige Grund, warum er darauf verzichtet, sie abholen zu lassen, ist der, daß er dafür Verständnis hat, warum ich mich selbst um sie kümmere. Oder wenigstens zum Teil. Seine Frau ist querschnittsgelähmt, und ihm fiele es auch nie ein, die damit verbundenen Probleme auf andere Leute abzuwälzen. Von Joans Gier nach Blut habe ich ihm gar nicht erzählt.«
Er wich der Fragestellung aus. Linden bemühte sich um Geduld. »Ist es denn kein psychiatrisches Problem? Hat Dr. Berenford physische Ursachen ausschließen können? Oder was könnte sonst vorliegen?«
Covenant zögerte. »Er hat keine Ahnung davon«, erwiderte er dann gedankenschwer, »was vor sich geht.«
»Das sagen Sie andauernd. Sie machen's sich zu leicht.«
»Nein«, widersprach er, »es ist nicht leicht, sondern ganz einfach die Wahrheit. Ihnen fehlt's an den Hintergrundkenntnissen, um diese Sache verstehen zu können.«
»Wieso sind Sie dessen so gottverdammt sicher?« Die Gewaltsamkeit von Lindens Selbstbeherrschung ließ ihre Stimme rauh klingen. »Ich habe mein halbes Leben damit herumgebracht, mich mit den Leiden anderer Menschen zu befassen.« Wollen Sie nicht endlich kapieren , hätte sie gerne hinzugefügt, daß ich Ärztin bin? Aber die Bemerkung erstickte in ihrer Kehle. Sie hatte eben erst versagt ...
Als bereite Covenant der Gedanke Unbehagen, sie könnte tatsächlich
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