Das verwundete Land - Covenant 04
Beleuchtung an. Wenn sie im Dunkeln allein ist, geschieht irgend etwas mit ihr. Sie verfällt in wahre Raserei ... Ich mache mir Sorgen, daß sie sich einen Arm bricht oder etwas ähnliches passiert.«
Er verstummte. Anscheinend war er am Ende seiner Geschichte angelangt – oder seiner Kräfte. Linden hatte das Gefühl, daß es seiner Erklärung an Vollständigkeit mangelte, doch sie hielt ihre Fragen zurück. Er benötigte Beistand, eine Entlastung von dem Druck, unter dem er stand. »Vielleicht wäre sie in einer Klinik tatsächlich besser aufgehoben«, meinte Linden bedächtig. »Ich bin sicher, daß Dr. Berenford unternimmt, was in seiner Macht steht. Allerdings gibt's alle möglichen diagnostischen Verfahren, die er hier an Ort und Stelle nicht anwenden kann. Wäre sie in einer Klinik ...«
»Wenn sie in einer Klinik wäre« – er drehte sich ihr so schroff zu, daß Linden zurückschrak – »würde man sie in eine Zwangsjacke stecken, sie dreimal täglich zwangsernähren und mit Drogen vollpumpen, bis sie den eigenen Namen nicht mehr kennt, nicht einmal wenn Gott selbst nach ihr riefe, und das alles wäre nicht die kleinste Hilfe für sie! Gottverdammt, sie war meine Frau! « Er schwang seine rechte Faust. »Ich trage noch immer den verfluchten Ring!«
»Sie glauben, daß es das ist, was Ärzte tun?« Linden geriet in Fahrt; ihr Versagen gab ihr Unmut ein. »Kranke schikanieren?«
Covenant zeigte sich gewillt, seinen Grimm aufrechtzuerhalten. »Ärzte sind darauf aus, gesundheitliche Probleme auszubügeln, ganz gleich, ob sie sie verstehen oder nicht. Das klappt nicht immer. Das hier ist nichts, was durch einen Arzt behoben werden könnte.«
»Tatsächlich?« Sie hatte nicht die Absicht gehabt zu höhnen; doch die eigenen inneren Zwänge trieben sie dazu. »Dann verraten Sie mir einmal, welche Hilfe Sie ihr denn erweisen können.«
Covenant zuckte zusammen. Zorn und Pein wüteten in ihm; doch er unterdrückte sie. »Sie ist zu mir gekommen«, entgegnete er lediglich.
»Sie hat nicht gewußt, was sie tat.«
»Aber ich weiß es.« Seine Erbitterung trotzte Linden. »Ich verstehe es sehr gut. Ich bin der einzige, der ihr helfen kann.«
In Linden kam ein Gefühl der Ohnmacht auf. » Was verstehen Sie?«
Mit einem Ruck sprang Covenant hoch. Er glich einer Leidensgestalt, wie er da stand, trotz seiner Schwäche aufrecht und eindrucksvoll, gestützt durch die Kraft seines Herzens. Seine Augen ähnelten Meißeln; als er sprach, fiel jedes Wort mit der entschiedenen Endgültigkeit eines Splitters Granit.
»Sie ist besessen.«
Linden blinzelte ihn an. »Besessen?« Diesmal hatte er sie in der Tat um das letzte Fassungsvermögen gebracht. Er schien eine Sprache zu reden, die sie nicht verstand. Sie lebten im zwanzigsten Jahrhundert; seit mindestens hundert Jahren hatte die medizinische Wissenschaft sich nicht mehr ernsthaft mit Besessenheit beschäftigt. Linden stand ebenfalls auf. »Sind Sie verrückt?«
Sie hatte erwartet, er werde einlenken. Aber er besaß noch unverbrauchte Reserven an Hartnäckigkeit. Er hielt ihrem Blick stand, und sein Gesichtsausdruck – erfüllt und gleichzeitig geläutert durch irgendeine Gewißheit, von der er zehrte – machte ihr unangenehm die eigene moralische Armut bewußt. Als er den Blick abwandte, geschah es nicht, weil er sich in Verlegenheit gebracht oder zum Nachdenken genötigt gefühlt hätte; er schaute weg, um ihr die Implikationen seines Wissens zu ersparen.
»Sehen Sie?« meinte er leise. »Es ist eine Frage der Erfahrungen. Ihnen fehlen die Voraussetzungen, um die Sache verstehen zu können.«
»Bei Gott!« brauste Linden voller Trotz auf. »Das ist die arroganteste Äußerung, die ich je gehört habe. Sie stehen hier und reden den ungeheuerlichsten Unsinn daher, und wenn ich ihn in Frage stelle, nehmen Sie mit der größten Selbstverständlichkeit an, bei mir sei irgendwas nicht ganz richtig. Woher haben Sie eigentlich den Nerv, mir mit ...?«
»Dr. Avery.« Seine Stimme klang leise und bedrohlich. »Ich habe keineswegs behauptet, bei Ihnen sei etwas nicht richtig.«
Linden hörte nicht hin. »Sie leiden an klassischer Paranoia, Mr. Covenant.« Jedes einzelne Wort quetschte sie mit Gehässigkeit hervor. »Sie bilden sich ein, daß jeder, der Sie anzweifelt, nicht richtig im Kopf ist. Das ist ein Fall, so typisch wie aus dem Lehrbuch.«
In blindwütigem Zorn machte sie auf dem Absatz kehrt und stapfte zur Tür, floh vor ihm, insgeheim erbittert darum
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