Das verwundete Land - Covenant 04
Erschütterung und sprang senkrecht auf die Hügelkuppe. »Hierher!« schrie sie. »Polizei hierher! Schnell! Hier unten sind sie!« Sie fuchtelte mit den Armen, als winke sie Personen zu, die sich irgendwo hinter ihr aufhielten.
Der Blick aus den Augen der Gestalt in den Flammen fiel mit unwiderstehlicher Gewalt auf sie, traf sie wie ein Peitschenhieb. Linden fühlte sich in diesem Moment völlig entblößt, ihr war zumute, als würden all ihre innersten Geheimnisse enthüllt und aufgesaugt. Aber sie achtete nicht auf die Augen. Sie lief in die Mulde hinunter, auch auf die Gefahr hin, daß die Fanatiker womöglich merkten, sie war allein. In dem Dreieck fuhr Covenant herum. Jede einzelne Kontur seiner ganzen Haltung schrie Nein!
Menschen kreischten auf. Lindens Sturmlauf, so hatte es den Anschein, brach die vom Feuer aufrechterhaltene Trance. Die Fanatiker gerieten in Verwirrung. Sie flohen nach allen Seiten, zerstreuten sich, als hätte Linden sie dem Druck eines weitreichenden, starken Protests ausgesetzt. Einen Augenblick lang erfüllte das Emporschäumen von Zuversicht Linden. Der Mann mit dem Dolch jedoch ergriff nicht die Flucht. Das Flackern des Feuers nährte seine exaltierte Verfassung. Er warf die Arme um Covenant und stieß ihn auf die steinerne Fläche des Untergrunds nieder, gab ihm einen Tritt, und Covenant blieb ausgestreckt liegen. Das Messer ...! Covenant war zu benommen, um sich wehren zu können. Linden stürzte sich auf den Bewaffneten, versuchte, seine Arme zu packen; aber er war so dick mit Asche eingerieben, daß ihre Hände von ihm abrutschten, und sie verlor an ihm jeden Halt.
Covenant versuchte sich herumzuwälzen. Hastig bückte der Mann sich über ihn, drückte ihn mit einer Hand auf den Boden, hob mit der anderen Faust den Dolch. Erneut fiel Linden ihm in den Arm, verhinderte so, daß er zustach. Ihre Fingernägel zerschrammten dem Mann das Gesicht. Er heulte auf und gab ihr einen Hieb, der sie der Länge nach aufs Gestein schleuderte. Alles ringsum schien ins Kreiseln zu geraten. Von allen Seiten brach Finsternis über Linden herein. Sie sah den Dolch aufblitzen.
Da funkelten die Augen der Gestalt im Feuer sie an, und Linden verlor sich in ihrem gelben Triumph, der brauste wie der Feuerofen der Sonne.
ERSTER TEIL
Not
4
»Du bist mein«
Rotglühender Schmerz bohrte sich mitten durch Thomas Covenants Brust. Er merkte, daß er schrie. Aber das Feuer loderte zu hell; er konnte sich selbst nicht hören. Von der Stichwunde aus jagte Glut durch seinen Körper, vermaß das Netzwerk seiner Nerven wie ein Territorium der Qual. Er konnte keinen Widerstand leisten.
Er mochte auch keinen Widerstand entgegensetzen. Er hatte Joan gerettet. Joan gerettet. Dieser Gedanke erfüllte ihn voll und ganz, tröstete ihn über die unvertreibbare Schauerlichkeit seiner Verwundung hinweg. Zum erstenmal seit elf Jahren hatte er mit seiner Ex-Frau Frieden geschlossen. Er hatte die alte Schuld zwischen ihnen bis an den Rand seiner Sterblichkeit beglichen; er hatte alles gegeben, was er besaß, um das unverschuldete Verbrechen seiner Leprose wiedergutzumachen. Mehr konnte man nicht von ihm verlangen.
Doch das Feuer verfügte über eine Stimme. Zuerst erscholl sie viel zu lautstark, um verständlich zu sein. Sie mahlte durch sein Gehör wie das Zerbersten von Felsbrocken. Mit jedem seiner immer schwächeren Atemzüge inhalierte er sie, und sie hallte mit jedem Senken seiner Brust in seinem Innern wider. Allmählich jedoch erklang sie klarer. Sie sprach Worte, so schwer wie Stein.
»Dein Wille ist mein –
Ohne mich hast du keine Hoffnung auf Leben,
Hast ohne mich weder Hoffnung noch Leben.
Alles ist mein.
Dein Herz ist mein –
In dir wohnt keine Liebe und kein Frieden,
In dir wohnt weder Liebe noch Frieden.
Alles ist mein.
Deine Seele ist mein –
Träumen kannst du nicht von deiner Rettung,
Nicht flehen kannst du um Errettung.
Du bist mein.«
Die Arroganz dieser Worte flößte Covenant Auflehnung ein. Er kannte die Stimme. Zehn Jahre hatte er damit zugebracht, sich gegen sie zu feien, seinen Griff um die Wahrheitlichkeit von Liebe und Zorn gefestigt, die ihn befähigt hatte, Sieger über sie zu werden. Und doch verfügte sie noch immer über die Macht, ihn zu erschrecken. In ihr schwang Vergnügen am Elend Lepraleidender mit. Sie forderte ihn und würde ihn niemals in Ruhe lassen.
Nun wollte er Gegenwehr leisten. Er
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