Das verwundete Land - Covenant 04
äußerlicher Ruhe zu begegnen. »Ihnen alles früher zu erzählen, war einfach nicht möglich.«
Die Kompliziertheit dessen, worüber er ihr Aufschluß zu erteilen hatte, machte den Ton, den er anschlug, ein wenig grob. »Es war schlichtweg ausgeschlossen, daß Sie mir geglaubt hätten. Und jetzt ist alles so schwierig ...« Lindens Augen klammerten sich an sein Gesicht wie Klauen. »Es gibt zwei völlig verschiedene Erklärungen«, sagte Covenant so sachlich wie möglich. »Eine äußere und eine innere Erklärung. Die erstere anzunehmen wird Ihnen vielleicht leichter fallen.« Er holte tief Atem. »Sie und ich liegen noch immer in dem Dreieck.« Die Grimasse, die er zog, drückte auf seine Blutergüsse. »Wir sind bewußtlos. Und während unserer Bewußtlosigkeit träumen wir. Es ist ein und derselbe Traum, in dem wir uns befinden.« Ungläubigkeit verkrampfte Lindens Miene. »Das ist nicht so weit hergeholt, wie Sie meinen«, fügte Covenant hastig hinzu. »Tief drunten in ihrem Innern – eben dort, wo die Träume entstehen – haben die meisten Menschen sehr viel miteinander gemeinsam. Deshalb lassen sich ja so viele unserer Träume in Begriffe auflösen, die von anderen Menschen verstanden werden können. So etwas ist es, was gegenwärtig mit uns vorgeht.« Er redete auf sie ein, durchaus nicht, um sie zu überzeugen, sondern weil er wußte, daß sie Zeit brauchte, irgendeine beliebige Auskunft, wie unwahrscheinlich sie auch sein mochte, um über den anfänglichen Schock ihrer Situation hinwegzukommen. »Wir haben einen gemeinsamen Traum. Und nicht nur wir.« Er gab ihr keine Gelegenheit, ihren Unglauben in Worte zu kleiden. »Joan hat Bruchstücke desselben Traums gehabt. Und auch der Alte – der Greis, dem Sie das Leben gerettet haben. Wir sind alle in einen unterbewußten Vorgang einbezogen.« Lindens Blick drohte abzuschweifen. »Sehen Sie mich an!« schnauzte er. »Ich muß Ihnen als erstes erklären, was für eine Art von Traum das ist. Er ist gefährlich. Sie können daran Schaden nehmen. Diese Dinge, die tief in uns verborgen stecken, sind machtvoll und voller Gewalt, und hier werden sie zum Vorschein kommen. Das Dunkle in uns – unsere destruktive Seite, der Aspekt unseres Ichs, den wir unser ganzes Leben lang in unserem Innersten verschlossen halten – führt hier in dieser Welt ein eigenständiges Dasein. Jeder Mensch hegt in seinem Innern ein gewisses Maß an Haß gegen sich selbst. Hier ist dieser Selbsthaß personifiziert – eben externalisiert, wie das so bei Träumen geschieht. Diese Personifizierung nennt sich Lord Foul der Verächter, und er will uns ins Unheil stürzen. Er ist es, von dem Joan immerzu geredet hat. Lord Foul. Und auch der Alte hat von ihm gesprochen, als er sagte: ›Wie arg er dich auch bedrängen mag, bleib getreu.‹ Uns treu bleiben, dem Verächter nicht dienen, uns nicht von ihm zugrunde richten lassen – das ist es, was wir tun müssen.« Covenant flehte sie regelrecht an, die Konsequenzen dessen, was er erläuterte, zu akzeptieren, selbst wenn sie es vorziehen sollte, die Erklärung anzuzweifeln. »Wir müssen integer bleiben, an uns selbst festhalten, das verteidigen, was wir sind, was wir glauben und wonach wir trachten. Bis es vorüber ist. Bis wir das Bewußtsein wiedererlangen.« Er verstummte, gestand ihr widerwillig Zeit zum Besinnen zu.
Linden richtete ihren Blick erneut auf seine Brust, als wäre die Narbe für das, was er erzählte, ein Prüfstein. Schatten von Furcht machten sich in ihrer Erscheinung bemerkbar. Unvermittelt hatte Covenant das Gefühl, daß Linden mit Selbsthaß wohlvertraut war. »Sie haben so etwas schon einmal erlebt«, sagte sie gepreßt. Covenant nickte. Linden hob nicht den Kopf. »Und Sie glauben daran?«
Teilweise, hätte er am liebsten geantwortet. Wenn man beide Erklärungen aneinanderfügt, ergeben sie zusammen annähernd das, was ich glaube. Aber er meinte, sie in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht mit Einsprüchen verunsichern zu dürfen. Statt dessen stand er auf, zog sie mit sich hoch, um vom Kevinsblick Ausschau zu halten. In ihrem Schreck taumelte Linden verkrampft gegen Covenant.
Sie befanden sich auf einer steinernen Platte, die mitten in der Luft zu schweben schien. Darüber erstreckte sich der Himmel in so enormer Ausdehnung, als stünden sie auf dem Gipfel eines Berges. Der unheimliche Strahlenkranz der Sonne verlieh dem Brodeln eines Meers grauer Wolken, das etwa achtzig Meter unterhalb der Steinplatte
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