Das verwundete Land - Covenant 04
mal meine Arzttasche dabei. Die Frau gehört in ein Krankenhaus. Wunschdenken kann ihr nicht helfen. Lassen Sie ihn seine eigenen Entscheidungen treffen.«
Covenant fuhr herum. War das dieselbe Frau, die mit solcher Leidenschaft Ich kann ihr helfen! gerufen hatte? Ihr Haar verbarg zur Hälfte ihr Gesicht. »Können Sie überhaupt nichts für sie tun?«
»Verbrennungen dritten Grades ...« – Linden sprach jedes einzelne Wort aus, als ergäbe sich daraus eine Maske für die Widersprüche in ihrem Herzen – »sind selbst unter den günstigsten Umständen schwierig zu behandeln. Wenn er Euthanasie bevorzugt, ist das seine Sache. Seien Sie nicht so gottverdammt rechthaberisch.« Übergangslos wandte sie sich an Sunder. »Wir brauchen etwas zu essen.«
Sunder musterte sie mit Argwohn. »Linden Avery, es gibt dies und jenes, das ich euch geben kann, um euer Los zeitweilig zu erleichtern, aber Speisen zählen nicht dazu. Wir verschwenden keine Speisen an jemanden, über den ein Urteil gefällt ist, sei's Mann, Frau oder Kind. Auch meine Mutter Kalina wird nichts zu essen erhalten, bis ich zu beweisen imstande bin, daß sie geheilt werden kann.«
Linden tat ihm nicht den Gefallen, ihn nur anzublicken. »Außerdem brauchen wir Wasser.«
Indem er gereizt fluchte, machte Sunder auf der Stelle kehrt, schlug sich den Vorhang aus dem Weg. »Wasser sollt ihr haben«, schnauzte er, als er hinausging. »Die Gefangenen wünschen Wasser!« schrie er draußen irgendwem zu. Dann entfernte er sich außer Hörweite.
Covenant beobachtete das Schaukeln des Vorhangs und bemühte sich darum, seine Verwirrung zu bändigen. Er konnte seinen Puls wie den Rhythmus einer trägen Flamme in den Knochen seines Schädels pochen hören. Was war los mit Linden? Mit vorsichtigen Bewegungen begab er sich zu ihr. Sie saß mit gesenktem Blick da; die Düsternis der Räumlichkeit trübte die Kenntlichkeit ihrer Gesichtszüge. Covenant ließ sich neben ihr auf die Knie sinken und fragte sie, was mit ihr sei.
Sie begegnete ihm mit Schroffheit, schüttelte ihr Haar. »Ich muß wohl hysterisch sein. Diese Leute haben vor, uns umzubringen. Aus irgendeinem dummen Grund macht mir das Sorgen.«
Covenant betrachtete sie einen Moment lang, ermaß den Umfang ihrer Feindseligkeit; dann zog er sich zurück und setzte sich an die ihr gegenüber befindliche Wand. Was hätte er sonst tun sollen? Linden war am Aufgeben, er konnte nicht darauf bestehen, daß sie ihm ihre Geheimnisse ausplauderte. Er selbst war, als er während seines ersten Aufenthalts im Land in einer ähnlichen Situation stak, derartig abgeirrt ... Er schloß die Lider, versuchte Mut zu finden. Schließlich seufzte er. »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Man wird uns nicht umbringen.«
»Natürlich nicht.« Lindens Ton war voller Giftigkeit. »Sie sind ja Thomas Covenant der Zweifler, und obendrein Träger des Weißgoldes. Da werden sie's wohl nicht wagen.«
Ihr Spott kränkte ihn; doch er unterzog sich der Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken. »Wir hauen heute nacht ab!«
»Wie denn?« wollte Linden wissen.
»Heute abend ...« Seine Müdigkeit vermochte Covenant nicht zu verbergen. »Ich will versuchen, Sunder einen guten Grund zu zeigen, aus dem er uns gehen lassen sollte.«
Einen Moment später schob jemand zwei große Schüsseln aus Steingut, die Wasser enthielten, durch den Vorhang. Linden reagierte darauf, als wären die Schüsseln die einzigen erklärbaren Gegenstände der Behausung. Sie rutschte auf den Knien hinüber und beugte den Kopf über sie, um ausgiebig zu trinken. Als sich Covenant zu ihr gesellte, wies sie ihn an, aus demselben Gefäß wie sie zu trinken. Er befolgte die Aufforderung, um Streit zu vermeiden; doch er begriff die Überlegung, die ihrem Wunsch zugrunde lag, als sie ihn aufforderte, seine Hände in die andere, noch volle Schüssel zu tauchen. Das Wasser konnte die Schwellung der Hände mindern, mehr Blut an den Fesseln vorüberfließen lassen – womöglich sogar die Fesseln lockern. Anscheinend waren seine Handgelenke mit Lederriemen zusammengebunden; während er Lindens Forderung nachkam, linderte die kühle Flüssigkeit das unangenehme Gefühl in seinen Händen deutlich; und wenig später spürte er in den Handflächen das Kribbeln einer gewissen Besserung. Er versuchte, Linden mit einem Lächeln zu danken; aber sie ging nicht darauf ein. Als er die Hände aus dem Wasser nahm, setzte sie sich an seinen Platz und tauchte für längere Zeit die eigenen
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