Das verwundete Land - Covenant 04
brachte er ein Stück Stein von der halben Größe seiner Faust zum Vorschein. Der Brocken war glatt und unregelmäßig geformt. Durch irgendeine Eigentümlichkeit seiner Oberfläche wirkte er durchsichtig, jedoch ließ sich nichts in ihm erkennen. Er ähnelte einem Loch in Sunders Hand.
»Hölle und Verdammnis!« ächzte Covenant gedämpft. Er empfand spürbare Erleichterung. Endlich sah er eine greifbare Hoffnung vor sich. »Orkrest.«
Überrascht musterte ihn der Steinmeister. »Du hast Kenntnis vom Sonnenstein?«
»Sunder.« Covenant sprach in grobem Ton, um seine Aufregung und Besorgnis zu verhehlen. »Wenn du versuchst, uns damit umzubringen, werden die Bewohner des Steinhausens Schaden erleiden.«
Der Steinhausener schüttelte den Kopf. »Ihr werdet keinen Widerstand leisten können. Man wird Mirk in euren Gesichtern zerbrechen – dieselbe Frucht, dank derer es gelungen ist, euch zu Gefangenen zu machen. Es werden keine Schmerzen zu erdulden sein.«
»O doch, 's wird Schmerz geben«, brummte Covenant. »Du wirst Schmerz zu leiden haben.« Mit voller Absicht begann er auf den Steinmeister Druck auszuüben. »Du wirst der einzige Mensch im ganzen Steinhausen sein, der weiß, daß er das Land um seine letzte Hoffnung bringt. Schade, daß dein Vater tot ist. Er hätte einen Weg gefunden, um dich zu überzeugen.«
»Genug!« Fast schrie Sunder seine gesamte innere Gequältheit heraus. »Ich habe die Worte gesprochen, die zu sprechen ich gekommen bin. Zumindest in dieser Hinsicht habe ich euch an Höflichkeit erwiesen, was mir statthaft ist. Sollte es noch etwas geben, das du zu sagen wünschst, so sprich, auf daß wir ein Ende finden. Ich muß an mein Werk gehen.«
Covenant ließ sich nicht beeindrucken. »Was ist mit Marid?«
Sunder erhob sich ruckartig, ragte über Covenant auf und starrte ihn verdrossen an. »Er ist als Mörder entlarvt und hat jegliche Gunst des Steinhausens verwirkt. Er hat gegen die Predigt verstoßen, deren alle anderen eingedenk sind. Dafür wird er seine Strafe erhalten.«
»Ihr wollt ihn bestrafen?« Aus Erregung schwand Covenants Beherrschung. »Wofür?« Mühsam straffte er sich, reckte dem Steinmeister das Gesicht entgegen. »Hast du nicht gehört, was ich euch gesagt habe? Er ist unschuldig. Er war von einem Wütrich übernommen worden. Was passiert ist, war nicht seine Schuld.«
»Ja«, erwiderte Sunder, »und er ist mein Freund. Aber du bist's, der sagt, er sei schuldlos, und deine Worte haben keine Bedeutung. Wir wissen hier nichts von irgendwelchen Wütrichen. Die Predigt ist und bleibt die Predigt. Wir werden ihn bestrafen.«
»Gottverdammt noch mal!« brauste Covenant auf. »Hast du ihn dir vorgenommen?«
»Bin ich ein Narr? Ja, ich habe ihn mit meiner Hand berührt. Das Feuer seiner Schuld ist erloschen. Er ist aufgewacht und wird von der Erinnerung an ein Greuel geplagt, das aus dem Regen über ihn kam. Doch seine Tat bleibt bestehen. Er muß bestraft werden.«
Zu gerne hätte Covenant sich den Steinmeister gepackt und ihn durchgeschüttelt. Aber seine Anstrengungen ließen die Fesseln nur noch fester in seine Handgelenke einschneiden. »Und wie?« forschte er mißgelaunt.
»Wir werden ihn binden.« Die gemäßigte Heftigkeit von Sunders Stimme klang nach Selbstgeißelung. »Ihn in die Nacht hinaus in die Ebene bringen. Das Sonnenübel wird keine Gnade mit ihm haben.« Aus Grimm oder Bedauern mied er Covenants Blick.
Covenant gab sich einen inneren Ruck und schob die Frage über Marids Schicksal beiseite, verschob alles auf später, was er am Sonnenübel gegenwärtig nicht verstand. »Wirst du Kalina wirklich töten?« erkundigte er sich statt dessen.
Sunders Hände zuckten, als wolle er Covenant an die Gurgel fahren. »Sollte es sich je noch ergeben, daß ich diesen Raum wieder verlassen kann«, antwortete er grob und mit ätzendem Sarkasmus, »werde ich mein Äußerstes tun, um sie zu heilen. Ihr Blut soll nicht vergossen werden, bevor ihr der Tod im Antlitz geschrieben steht, so daß ein jeder ihn abzusehen vermag. Trachtest du danach, mich von ihrer Seite fernzuhalten?«
Die seelische Not des Steinmeisters rührte Covenant. Seine Entrüstung verebbte. Er schüttelte den Kopf. »Du solltest Linden losbinden und mitnehmen«, empfahl er dann gelassener. »Sie ist Heilerin. Vielleicht kann sie ...«
Linden fiel ihm ins Wort. »Nein.« Trotz der Ausdruckslosigkeit ihrer Stimme ließ sich darin ein zittriger Anflug von Verzweiflung vernehmen. »Ich habe nicht
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