Das verwunschene Haus
wieder hin. Er ist totenbleich geworden. Mit starrem Blick sagt er: »Großer Gott, dort drüben ist er!«
Kevin O’Neil dreht sich um. Die Tür des Pubs hat sich soeben geöffnet, und ein Mann ist eingetreten. Er trägt einen sehr eleganten Abendanzug und einen schwarzen Umhang. Ohne die beiden zu beachten, geht er zur Bar und bestellt etwas zu trinken.
Jacky Barrow betrachtet ihn mit weit aufgerissenen Augen. Dann mustert er Kevin. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Sie gleichen sich nicht vollständig, aber sie haben dieselbe Größe, dieselbe Haarfarbe und sind genau gleich gekleidet. Vor allem aber haben sie dieselbe Art, sich zu bewegen, dieselben Gesten und dieselbe Körperhaltung mit dem leicht gekrümmten Rücken und dem vorgereckten Kopf.
Kevin hat eine Taschenuhr aus seiner Weste gezogen. Es ist eine sehr hübsche, ziselierte Uhr mit einem halb in Gold, halb in Silber eingravierten Muster. Er seufzt.
»Halb zwölf. Ich habe höchstens noch dreißig Minuten zu leben.«
Jacky Barrow preßt die Kieferknochen fest zusammen.
»Ich sage Ihnen doch, das werde ich zu verhindern wissen!« Sein Tischgenosse schüttelt den Kopf.
»Man kann nicht gegen sein Schicksal ankämpfen. Ich bin an der Reihe.«
»Doch, man kann etwas dagegen tun. Ein Fluch muß nicht ewig währen. Irgendwann kommt der Tag, wo man ihn brechen kann. Dazu braucht man nur ein wenig Mut. Seien Sie ein Mann, Kevin...«
»Ich habe diesen Mut nicht. Es ist sinnlos.«
»Dann werde ich es für Sie tun!«
Jacky senkt die Stimme: »Hören Sie zu, Kevin... Ich dürfte Ihnen das eigentlich nicht verraten, aber ich habe schon eine ganze Menge schlimmer Sachen getan. Auf einen Coup mehr oder weniger kommt es nicht mehr an...«
»Machen Sie keine Dummheiten!«
»Es wird nicht die erste und nicht die letzte Dummheit sein, und zumindest würde ich einmal für etwas gut sein...«
Der junge Gauner zieht ein feststehendes Messer aus seiner Tasche.
»Sehen Sie dieses Messer? Es hat mir schon manchen Dienst erwiesen... Und falls man dahinterkommt, so war es allein meine Idee, mir diesen feinen Burschen zu kaufen, sobald er wieder auf der Straße stand. Sagen wir also, daß es seine Geldbörse ist, die mich interessiert, und reden wir nicht mehr darüber!«
»Aber das ist doch Wahnsinn!«
Jacky Barrow lächelt. »Machen Sie sich keine Sorgen! Natürlich sind alle O’Neils wohlanständige Leute. Als Sie diesen verteufelten Doppelgänger von Ihnen hereinkommen sahen, wagten Sie nicht, irgend etwas zu unternehmen. Sie sind einfach sitzen geblieben wie eine Porzellanfigur. Ein trefflicher Schlag hingegen... Kevin, ich bin sicher, daß der Fluch ein Ende hat, wenn ich Ihren Doppelgänger töte!«
Zum ersten Mal erkennt man bei Kevin Anzeichen von innerer Erregung. Gespannt betrachtet er sein Gegenüber.
»Wie wollen Sie die Sache anpacken?«
»Sobald er Anstalten macht zu gehen, verlasse ich vor ihm das Lokal und warte draußen auf ihn. Ich gebe ihm hundert Meter Vorsprung, und dann schnappe ich ihn mir!«
Jacky Barrow zuckt zusammen. Hinten am Tresen hat der Mann in Schwarz einen Geldschein gezückt. Der Wirt nimmt ihn entgegen und sucht das Wechselgeld zusammen. Das ist der richtige Moment!
Jacky klopft Kevin auf die Schulter, sagt noch ein Wort der Ermutigung zu ihm, zieht sich die Mütze tief in die Stirn und geht eiligen Schrittes hinaus.
Das Schneetreiben ist inzwischen noch dichter geworden. Jacky Barrow schlägt den Kragen seiner Weste hoch. Dann greift er in die Tasche und holt das Messer hervor. Er betrachtet die lange Klinge. Schneeflocken fallen darauf. Seltsam, in dieser Nacht empfindet er beinahe so etwas wie Glück!
Er ist nicht zum Vergnügen ein Dieb und ein Mörder geworden. Aber in dem Milieu, in dem er lebt, muß man entweder der Stärkere sein, oder man wird aufgefressen. Doch nun wird er zum ersten Mal etwas tun, um jemandem zu helfen. Der Gentleman war ihm sympathisch, und seine Geschichte hat ihn sehr aufgewühlt.
Fünf Minuten sind vergangen. Der Mann in Schwarz verläßt den Pub und bewegt sich ohne Eile in gleichmäßigem Schrittempo vorwärts. Die Sache ist für Jacky einfach wie ein Kinderspiel. Auf leisen Sohlen folgt er dem Mann. Er springt ihm in den Rücken und stößt ihm von hinten das Messer mitten ins Herz.
Jacky Barrow verspürt ein Gefühl tiefer Genugtuung, während er sich über den Leichnam beugt.
»Es ist vollbracht, Kevin«, murmelt er.
Doch sein Triumphgefühl weicht alsbald einem seltsamen
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