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Das verwunschene Haus

Das verwunschene Haus

Titel: Das verwunschene Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Großeltern ihre besten Sachen an und fahren zur selben Stunde fort. Auf Gretels Fragen geben sie keine Antwort. Statt dessen erklären sie ihr lächelnd: »Wir machen ein paar Besorgungen. Wir sind bald wieder da...«
    Gretel beharrt nicht. Natürlich hält man sie noch für ein Kind, denn schließlich ist sie erst sieben. Die Großen können ja nicht wissen, daß all das, was Gretel hinter der Tür belauscht hat, sie vorzeitig hat reifen lassen.
    Am Abend dieses Tages ist Gretel wieder auf ihrem Lauschposten. Man hat sie diesmal früher zu Bett geschickt als sonst. Es geht also um etwas Wichtiges, und in der Tat hört sie lautes Stimmengewirr.
    Großvater scheint wütend zu sein. Er spricht mit der donnernden Stimme, die sie gar nicht an ihm mag: »Sieben Jahre Gefängnis! Sieben Jahre, nachdem er dir das angetan hat!«
    Großmama erwidert sanft: »Aber die Schadenersatzsumme ist dafür besonders hoch ausgefallen...«
    Doch dann schweigt Großmama, denn Erika hat angefangen zu weinen.
    Das einzige, was Gretel in diesem Moment bewußt wahrnimmt, sind die Tränen ihrer Mutter. Ihr Vater ist zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden, doch das sagt Gretel nicht viel. Sie weiß nur, daß ihre Mutter wieder weint, und das macht ihr Angst. Sie muß sich noch mehr Mühe geben, besonders lieb zu ihr zu sein. Und sie muß unbedingt weiter an der Tür horchen, denn sie ahnt, daß sich ein erneutes Drama anbahnt.
    Im Laufe der nächsten Monate verschlechtert sich Erikas seelische Verfassung zunehmend. Eigentlich dürfte Gretel davon nichts wissen. Wenn sie mit ihrer Mutter zusammen ist, zwingt sich diese, fröhlich und ganz, normal zu wirken. Sie erkundigt sich besorgt nach ihren Schulergebnissen und läßt sich mit scheinbar unverändertem Interesse von den täglichen Erlebnissen ihrer Tochter erzählen.
    Doch abends hinter der Tür vernimmt das Kind eine gänzlich andere Sprache. Die Stimme der Mutter klingt so müde, wie Gretel es noch nie gehört hat. Und vor allem sagt sie ganz schreckliche Dinge zu den Großeltern. Gretel ist inzwischen acht. Sie ist ihren Jahren weit voraus und versteht genau, worum es geht.
    »Ich kann nicht mehr! Ich weiß, daß ich mich um Gretels willen bemühen müßte, aber es geht über meine Kraft.«
    »Nimm dich zusammen, Liebes!«
    »Wenn ich nicht gelähmt wäre, hätte ich es längst getan. Ich flehe euch an, tut es an meiner Stelle!«
    Großpapa und Großmama flüstern erschrocken miteinander. Sie wollen natürlich nicht, daß die Kleine wach wird. Erika schweigt schließlich.
    Gretel geht in ihr Zimmer und nimmt sich fest vor, alles zu tun, um dies zu verhindern...
    Es ist der 18. Januar 1980. Gretel steht wieder an der Tür und horcht, doch diesmal hat sie es nicht absichtlich getan, und es handelt sich nicht um die Tür zum Eßzimmer, sondern um die Küchentür. Genauer gesagt lauscht sie jetzt keiner Unterhaltung. Sie hat vielmehr ein Schluchzen vernommen, einen halb erstickten Schluchzer von ihrer Großmutter. Alarmiert späht das Kind durch den Türspalt. Es gibt nichts
    Besonderes zu sehen. Großmutter bereitet die Medikamente für Mama vor. Und wenn sie traurig ist, so liegt das an den schrecklichen Dingen, die Mama jeden Abend zu ihr sagt. Beim Abendessen denkt Gretel nicht mehr daran. Als sie jedoch später ihren Lauschposten bezieht, ist sie jäh beunruhigt. Sie preßt ihr Ohr noch fester gegen die Tür, denn die Situation kommt ihr verändert vor. Ihre Mutter sagt nichts und beklagt sich auch nicht. Nur das Flüstern der Großeltern dringt an Gretels Ohr.
    Sie versteht nur ein paar Wortfetzen: »...besser so... bald befreit... mußte sein...«
    Gretel weiß sofort Bescheid. Wie vor zwei Jahren stürzt sie zum Telefon und wählt die Nummer der Polizei.
    »Hallo, kommen Sie schnell! Großvater und Großmutter haben Mama umgebracht!«
    Die Polizei erscheint wenige Minuten später, da man den Anruf des Kindes ernst genommen hat. Die Großeltern stehen an der Türschwelle. Sie geben sofort alles zu.
    »Wir haben ihr ein Röhrchen Schlaftabletten gegeben. Sie selbst hat uns darum gebeten. Sie hat nicht gelitten.«
    Die Männer von der Ambulanz hören ihnen nicht zu. Sie stürzen zu der jungen Frau hin, die bereits bewußtlos ist. Und wie vor zwei Jahren führen sie an Erika Schneider Wiederbelebungsversuche durch. Aber diesmal haben sie keinen Erfolg, und Erika liegt nach wie vor im Koma, als sie ins Krankenhaus gebracht wird.
    Was Gretel betrifft, so macht sie sich keine Sorgen.

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