Das verwunschene Haus
wo sie als Schneiderin in einem Modehaus tätig ist. Als er bei ihr eintrifft, ist er im ersten Moment wider besseres Wissen überrascht. Er hatte die Spuren eines kleinen Mädchens verfolgt, und jetzt öffnet ihm eine reife Frau die Tür. Ruth ist inzwischen achtunddreißig. All das war schließlich vor dreißig Jahren geschehen...
Der Inspektor hat die Puppe mitgebracht, die man im Sandkasten neben dem Skelett gefunden hatte. Nach dem üblichen Austausch von Höflichkeiten zeigt er sie ihr. und Ruth Williams reagiert sofort mit lebhaftem Interesse.
»Ja«, ruft sie, »das ist Barbaras Puppe! Ich war immer neidisch, weil ihre Puppe schöner war als meine! Arme Barbara! Ich habe es nie so recht glauben wollen. Ich hatte die ganze Zeit gehofft, man würde sie doch noch finden.«
Der Inspektor hat nun die Gewißheit, daß das Opfer tatsächlich Barbara Taylor war. Aber vielleicht kann ihm Mrs. Williams noch irgendeinen weiteren Anhaltspunkt geben. »Erzählen Sie mir von ihr. Gibt es aus Ihrer Sicht nichts, was uns in der Sache helfen könnte?«
Ruth Williams zieht die Stirn in Falten. Es ist seltsam rührend zu sehen, wie diese gutsituierte Londoner Familienmutter in ihren Erinnerungen an ihre Kleinmädchenzeit kramt...
Als ob sie einen Traum heraufbeschwört, erwidert sie schließlich: »Wir waren sehr befreundet, Barbara und ich. Sie war meine beste Freundin. Und sie war ein unkompliziertes, fröhliches Kind. Natürlich stritten wir auch gelegentlich, aber in diesem Alter ist das ganz normal.«
Sie hält jäh im Sprechen inne und sagt dann: »Da fällt mir ein, daß es etwas gibt, das Sie vielleicht wirklich interessieren könnte. Barbara erzählte mir manchmal von einem >Onkel Bob<. Als ich sie fragte, wer das sei, sagte sie nur immer, er heiße eben >Onkel Bob<. Mehr habe ich nie erfahren, zumal sie mich nie zu sich nach Hause eingeladen hat. Sie sagte: >Mama will das nicht, wegen Onkel Bob.<«
Jetzt weiß Inspektor Smithson genug. Er weiß auch, daß es wenig Sinn hat, wenn er seine Nachforschungen in England fortsetzt. Die Auflösung der Geschichte wird er nur in Australien erfahren...
Er telegrafiert der australischen Polizei und bittet um Auskunft bezüglich einer gewissen Marjorie Taylor sowie eines Mannes mit dem Vornamen »Robert«, wofür »Bob« die Abkürzung ist.
Die Antwort läßt nicht lange auf sich warten. Zwei Wochen später erhält Smithson folgendes Telegramm: »Marjorie Taylor ist im Jahre 1946 immigriert und zwar zusammen mit Robert Robson, den sie im Juli desselben Jahres geheiratet hat. Marjorie Robson ist im April 1967 gestorben. Der Ehemann wird demnächst verhört.«
Die australische Polizei hat den Fall also in die Hand genommen. So wird sich diese seltsame Affäre weit weg vom eigentlichen Schauplatz aufklären...
In Sydney, wo Robert Robson jetzt ansässig ist, brauchen jedoch keine weiteren Ermittlungen mehr durchgeführt zu werden. Robson ist inzwischen ein Mann von fünfundsechzig Jahren, doch er wirkt sehr viel älter. Er ist sofort bereit, den Beamten alles zu erzählen. Mit müder Stimme erklärt er: »Ich habe stets damit gerechnet, daß ich eines Tages wegen Barbara verhört werden könnte. In gewisser Weise ist es mir sogar lieber so. Es war eine zu schwere Bürde, dieses Geheimnis allein mit mir herumtragen zu müssen. Die arme Marjorie ist daran gestorben. Während ihrer Krankheit hat sie immer wieder gesagt: Gott bestraft mich!«
So beginnt dreißig Jahre später und am anderen Ende der Welt Robert Robson seine Beichte: »Ich war nicht im Krieg. Wegen eines Herzfehlers hatte man mich damals vom Militärdienst zurückgestellt. Ich wohnte in Portsmouth, wo ich
Marjorie Taylor kennenlernte, deren Mann in Kriegsgefangenschaft geraten war. Wir fanden auf Anhieb Gefallen aneinander. Marjorie überredete mich, in ihr Haus zu ziehen. Vier Jahre lange wohnte ich dort. Ich kümmerte mich auch um die kleine Barbara, die ich sehr gern mochte. Und dann war der Krieg auf einmal zu Ende. Marjorie erklärte, ich müsse ausziehen, denn ihr Mann könne von einem Tag auf den anderen heimkehren. Ich verlor sie für die Dauer eines Jahres gänzlich aus den Augen, denn ich war inzwischen nach London übergesiedelt. Allerdings schrieben wir uns gelegentlich. Im März 1946 teilte sie mir mit, ihr Mann sei gestorben. Sie fragte mich, ob ich bereit sei, mit ihr nach Australien auszuwandern. Ich sagte ja. Als ich sie nach der Trennung das erste Mal wiedersah, war ich sehr überrascht, die
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