Das verwunschene Haus
führen. Nachdem sie es wieder zu Bett gebracht haben, beginnen die Eltern, sich über das merkwürdige Erlebnis zu unterhalten, das sich soeben zugetragen hat.
Es ist das erste Mal, daß Alice so etwas gemacht hat. Bis dahin hatte sie stets einen besonders ruhigen Schlaf gehabt. Doch die Eltern geraten deswegen jetzt nicht gleich in Panik. Zweifellos war sie irgendwie nervös und unruhig, als sie zu Bett ging. Vielleicht war der Tee, den sie zuvor getrunken hatte, etwas zu stark. Sie werden ihr abends keinen Tee mehr zu trinken geben. Und falls sich der Vorfall wiederholt, werden sie einen Arzt zu Rate ziehen.
Nachdem ihr Mann am anderen Morgen ins Büro gefahren ist, fragt Mrs. Fitzgerald ihre Tochter: »Sag, Alice, hast du gestern nacht einen Traum gehabt?«
In lebhaftem Ton erwidert das Kind: »O ja, Mama, das war ein komischer Traum! Ein kleines Mädchen hat mich gerufen. Sie hat gesagt: >Komm und spiel mit mir im Sandkasten!< Dann bin hingegangen und hab gewartet, aber es war niemand da...«
Als Mr. Fitzgerald abends zurückkommt, erzählt ihm seine Frau von diesem Traum. Sie sprechen noch eine Weile darüber, und danach denkt keiner von ihnen mehr daran. Der Vorfall vom 15. Oktober ist rasch vergessen. Doch drei Wochen später, am 8. November, geschieht dasselbe wieder.
Während sie vor dem Fernseher sitzen, vernehmen Mr. und Mrs. Fitzgerald hinter sich einen leisen und mechanischen Schritt auf den Treppenstufen. Mit hölzernen Bewegungen und ausdruckslosem Blick, wie eine lebensgroße Puppe, steigt Alice im Nachthemd die Treppe hinunter.
Wie schon beim ersten Mal geht sie durch die Küche und öffnet die Tür. Ein eisiger Windhauch dringt ins Haus. Mrs. Fitzgerald will sich erheben, doch ihr Mann hält sie zurück. Auf keinen Fall darf man Alice jetzt aufwecken; das könnte gefährlich sein.
Das kleine Mädchen schreitet mit nackten Füßen über die Rasenfläche. Die Kälte scheint ihr nicht das geringste anzuhaben. Erneut bleibt sie vor dem Sandkasten stehen. Als ihre Mutter sie an die Hand nimmt, um sie ins Haus zurückzuführen, folgt sie ihr widerstandslos.
Diesmal sind die Fitzgeralds ernstlich beunruhigt. Begründungen wie Nervosität oder zu starker Tee vor dem Schlafengehen kommen nicht mehr in Frage. Ihre Tochter ist Schlafwandlerin, und gleich morgen werden sie einen Arzt rufen. Der Arzt, der am anderen Tag ins Haus kommt, findet die Kleine bei bester Gesundheit vor. Nachdem er sie untersucht hat, fragt er: »Hast du letzte Nacht etwas geträumt?«
»Ja. Dasselbe kleine Mädchen hat mich wieder gerufen. Es hat zu mir gesagt: >Du schläfst, und ich schlafe auch. Besuch mich im Garten der Träume.< Ich bin hingegangen, aber sie war nicht da.«
Als der Arzt mit den Eltern allein ist, meint er: »Ihre Tochter wird von einer Erinnerung heimgesucht. Im Garten muß sie etwas erlebt haben, das sie so nachhaltig schockiert hat, daß sie im Wachzustand die Erinnerung daran verdrängt. Nachts im Traum kehrt die Erinnerung jedoch zurück. Dieses kleine Mädchen, von dem sie erzählt — um wen konnte es sich Ihrer Meinung nach handeln?«
Mrs. Fitzgerald macht eine Handbewegung, die ihre Ratlosigkeit ausdrücken soll.
»Ich weiß es wirklich nicht. Wir sind erst vor kurzem nach Portsmouth gezogen. Alice hatte noch keine Gelegenheit, Freundinnen zu finden. Bis jetzt spielt sie ganz allein.«
Der Arzt schüttelt den Kopf.
»Sucht sie im Garten eine bestimmte Stelle auf, während sie schlafwandelt?«
»Ja, sie geht jedesmal zu ihrem Sandkasten.«
»Haben Sie den Sandkasten schon näher untersucht? Vielleicht hat sie dort etwas vergraben.«
»Etwas vergraben?« wiederholt Mr. Fitzgerald. Bei der Frage des Arztes beschleicht ihn ein unbehagliches Gefühl. Das Ganze ist womöglich sehr viel schlimmer, als er bis jetzt geglaubt hat.
»Doktor, könnten Sie einen Moment bei Alice bleiben? Ich möchte nicht, daß sie mich sieht, wenn ich den Sandkasten untersuche...«
Ein paar Minuten später kehrt Mr. Fitzgerald in das Kinderzimmer zurück, wo Alice seelenruhig mit ihrer Mutter und dem Arzt plaudert. Er ist ganz bleich im Gesicht. Er gibt den beiden ein Zeichen, ihm ins Wohnzimmer zu folgen. Dort sagt er leise zu seiner Frau: »Liebes, wir werden die Kleine für kurze Zeit zu deinen Eltern bringen müssen, damit sie nicht miterlebt, was hier geschieht.«
»Aber was ist denn los?« fragt Mrs. Fitzgerald zu Tode erschrocken.
Mit tonloser Stimme erwidert ihr Mann: »Unten im Sandkasten. etwa in zehn
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