Das verwunschene Haus
Fingernägeln des Opfers fanden sich Spuren von Wollfasern, die Aufschluß über die Kleidung des Angreifers geben, der tatsächlich einen braunen Pullover trug.
Soweit stehen die Indizien also fest. Der Kommissar ist außerdem zu einer Schlußfolgerung gekommen, dank derer sich der Fall noch schneller lösen lassen wird. Dieser Mord an einer Gelegenheitsprostituierten ist kein Verbrechen aus Leidenschaft. Der Täter war mit Sicherheit ein Ganove, jemand aus dem Milieu. Es erscheint daher sehr wahrscheinlich, daß der Mann einschlägig vorbestraft und damit aktenkundig ist.
Auf Grund der Beschreibungen durch die zahlreichen Zeugen beauftragt Schulz einen Spezialisten, vom Täter eine Phantomzeichnung anzufertigen. Sobald diese vorliegt, läßt er in der Verbrecherkartei nach einem Mann suchen, der dem Bild ähnelt.
Zwei Tage später liegt dem Kommissar ein Photo vor, das eine frappierende Ähnlichkeit mit der Phantomzeichnung aufweist. Zu dem Photo finden sich folgende Angaben: »Hans Brauer, im Jahre 1950 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wegen des Versuches, eine Prostituierte zu erwürgen. 1957 entlassen.«
Diese Untersuchung kommt in der Tat sehr viel schneller voran, als er erwartet hatte! Kommissar Schulz schickt einen Fahndungsbefehl heraus, und schon am nächsten Tag erhält er einen Anruf von einem seiner Kollegen in Hamburg: »Brauer sitzt im Gefängnis. Er wurde vor einer Woche wegen Landstreicherei verhaftet.«
Natürlich läßt Schulz den Verdächtigen so schnell wie möglich nach Berlin überführen, und kurz darauf sitzt der Mann vor ihm.
Für jeden anderen Polizeibeamten wäre der Fall damit so gut wie abgeschlossen, nicht jedoch für Kommissar Schulz, der den Ruf hat, in allem äußerst gewissenhaft zu sein, ja, man könnte fast sagen, er sei pedantisch bis zur Manie...
Trotz seines finsteren Vorlebens trägt Hans Brauer ein völlig entspanntes, fast sarkastisches Auftreten zur Schau. Er beantwortet alle Fragen mit der Lässigkeit eines Mannes, der den Umgang mit der Polizei gewohnt ist.
»Wo waren Sie am 16. Juni?«
»Nun, ich glaube, ich war in Berlin.«
Der Mann, den man in Hamburg verhaftet hatte, gibt ohne zu Zögern zu, am Tag des Mordes in Berlin gewesen zu sein. Es wäre ein leichtes für ihn gewesen, diese Tatsache zu leugnen. Ist er sich nicht darüber klar, oder wird er gleich ein Geständnis ablegen?
Einen Moment lang glaubt der Kommissar an diese Möglichkeit, doch wird er rasch eines Besseren belehrt.
»Wo waren Sie in der Nacht des 16.?«
Hans Brauer fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Er versinkt in tiefes Nachdenken, was einige Zeit in Anspruch nimmt, bis er schließlich erwidert: »Ich war im Café Globus in der Beethovenstraße. Dort war ich den ganzen Abend.«
»Hat Sie jemand gesehen?«
»Bestimmt. Das können Sie leicht überprüfen.«
Kommissar Schulz unterbricht das Verhör und begibt sich selbst in das Café, um sich zu erkundigen, was ganz seiner gewissenhaften Art entspricht. Hans Brauer hat Pech: Keiner der Angestellten erkennt ihn auf dem Photo, das der Beamte herumzeigt. An jenem Abend hat ihn niemand dort gesehen. Doch ein anderer Gast hatte ihn bemerkt... Eine junge Prostituierte namens Lilian, die mit dem Opfer befreundet war, reagiert sofort, als sie das Photo sieht.
»Ich kenne den Mann! Ich habe ihn mit Ulrike zusammen gesehen. Das war in der Woche vor ihrem Tod.«
Kurz darauf erhält Schulz eine Information, die für den Verdächtigen noch belastender ist. Das Labor hat inzwischen den Pullover untersucht, den Brauer am Tag seiner Verhaftung trug und ihn mit den Wollfasern verglichen, die sich unter den Nägeln des Opfers fanden. Dem Bericht zufolge ist die Wolle identisch!
Diesmal hat der Kommissar alle Trümpfe in der Hand, als er Hans Brauer erneut verhört.
»Ich habe Ihr Alibi im Café Globus überprüft. Es war falsch; niemand hat Sie dort gesehen.«
Brauer zuckt die Schultern. Er scheint nicht im geringsten aus der Fassung zu geraten.
»Erstaunlich, daß die Leute so ein schlechtes Gedächtnis haben! Wir leben in einer gleichgültigen Zeit. Keiner achtet mehr auf den anderen.«
»Sie erhalten demnach Ihre Version aufrecht, daß Sie den ganzen Abend in dem Café verbracht haben?«
»Und ob!«
»Und Sie werden sicher auch behaupten, daß Sie Ulrike Hafner nicht gekannt haben, oder?«
»Aber ja, natürlich habe ich die arme Kleine gekannt! Ich war sehr betroffen, als ich in der Zeitung von ihrem schrecklichen Ende erfuhr.
Weitere Kostenlose Bücher