Das verwunschene Haus
fürchte, jemand will mir Böses. Ich fürchte sogar, man will mich umbringen!«
Sein Kollege ist sprachlos. Louis fährt fort: »Diese Woche hatte ich mehrmals Nachtschicht. Nun, vor fünf Tagen hatte ich auf offener Strecke am Gleis zu tun, und da hörte ich plötzlich ein seltsames Geräusch auf der Seite des Bahndamms, so als ob jemand die Böschung hinaufkletterte. Ich rannte zu der Stelle hin und sah gerade noch, wie eine schattenhafte Gestalt die Flucht ergriff.«
Sylvain Prolier zuckt die Schultern.
»Na und? Das beweist gar nichts.«
»Warte, das ist noch nicht alles. Auch gestern hatte ich wieder Nachtdienst. Es handelte sich zwar um einen anderen Streckenabschnitt, aber die Stelle war genauso einsam und verlassen. Und da habe ich es wieder gehört. Diesmal war es ein etwas leiseres Geräusch. Es klang mehr so, als ob jemand langsam von unten hochkriechen wollte. Da bekam ich wirklich Angst, aber dann hatte ich eine Idee. Ich tat, als wären wir zu mehreren und rief laut: >He, Kameraden, schaut doch mal nach, was da unten los ist!< Und gleich danach hörte ich erneut, wie jemand davonrannte.«
Sylvain Prolier versucht, seinen Kollegen zu beruhigen: »Du bildest dir das nur ein, Louis! Das beweist lediglich, daß irgend jemand auf das Gleis hinaufklettern wollte, und nicht, daß man dir etwas Böses wollte!«
Doch Louis schüttelt nur düster den Kopf.
»Nein, Sylvain. Derjenige, der das Gleis hinaufklettern wollte, war nicht etwa zufällig an die Stelle geraten, wo gerade jemand arbeitete. Du weißt selbst, welchen Krach es macht, wenn man da oben herumläuft. Es ist nicht möglich, das von unten zu überhören. Also war ich es, den er suchte, daran gibt es keinen Zweifel.«
Sein Kamerad ist jetzt doch ein wenig beeindruckt und fragt ihn: »Hast du einen Feind? Hast du dich mit jemand gestritten?«
»Nein. Aber warte, es geht noch weiter. Erst vorhin ist wieder etwas passiert. Am späten Nachmittag hat man entdeckt, daß eines der Signallichter kaputt ist. Der Schaden fiel in meinen Streckenabschnitt, und normalerweise hätte ich hingehen müssen, um ihn zu reparieren. Und es war schon stockfinster, stell dir das vor! Das war eine Falle, da bin ich mir sicher.«
»Und was hast du gemacht?«
»Ich habe Bernard Hogier gefragt, ob er bereit sei, an meiner Stelle zu gehen. Aber jetzt tut es mir schon leid, daß ich ihn gefragt habe. Womöglich passiert ihm etwas.«
Unvermittelt packt er seinen Kameraden am Arm.
»Sylvain, irgend etwas geht da vor, ich sage es dir! Ich habe das Gefühl, als ob da draußen der Tod auf mich lauert.« Sylvain Prolier versucht, so gut er kann, den anderen zu beschwichtigen, doch seine Stimme klingt wenig überzeugend. Sie bleiben noch eine halbe Stunde zusammen im Restaurant sitzen, bis plötzlich ein weiterer Bahnangestellter hereingestürmt kommt. Es ist Bernard Hogier.
»Louis, du hattest recht! Jemand hat gerade versucht, mich zu überfallen!«
»Bildest du dir das nicht bloß ein?« fragt Sylvain wider besseres Wissen.
»Von wegen Einbildung! Zunächst steht einmal fest, daß das Signallicht absichtlich beschädigt wurde. Und als ich es dann reparieren wollte, hörte ich Schritte hinter mir. Als ich mich umdrehte, ist der Bursche sofort geflüchtet.«
Louis Noel stößt einen tiefen Seufzer aus. Er versucht, etwas zu sagen, doch er bringt kein Wort heraus. Sein Gesicht ist ganz eingefallen und hat eine grünliche Farbe angenommen. Schließlich gelingt es ihm zu sagen: »Er ist geflüchtet, weil er dich statt meiner gesehen hat. Er hat es auf mich abgesehen, und irgendwann werde ich dranglauben müssen!«
Am 5. Februar ist der Landwirt Charles Migeon, der in der Nähe von Fontainebleau lebt, mit seinem Lieferwagen auf dem Weg nach Hause. Es ist acht Uhr abends. Nicht weit entfernt vom Dorf Vieilles-Maisons sieht er plötzlich im Scheinwerferkegel ein Fahrrad mitten auf der Straße liegen. Er hält sofort an, steigt aus und betrachtet die Sache aus der Nähe. Das Fahrrad weist keinerlei Unfallspuren auf. Vielleicht gehört es einem Betrunkenen, der das Gleichgewicht verloren hat. Dieser dürfte dann nicht weit sein.
Tatsächlich, in einigen Meter Entfernung liegt ein Mann der Länge nach im Straßengraben. Der Bauer klopft ihm auf die Schulter.
»Komm schon, Kamerad, wach auf! Ich bringe dich mit meinem Lieferwagen nach Hause.«
Aber der Mann antwortet nicht. Jäh beunruhigt dreht Charles Migeon ihn um und stößt gleich darauf einen entsetzten Schrei
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