Das verwunschene Haus
aus. Der Mann hat eine klaffende Wunde am Kopf. Kein Zweifel, er ist tot.
Migeon stürzt zu seinem Lieferwagen, um die Gendarmen zu benachrichtigen, daß ein Unbekannter auf einem Fahrrad in der Nähe von Vieilles-Maisons getötet worden ist. Es handelt sich tatsächlich um einen Unbekannten, denn man vermag nicht mehr zu sagen, wie er ausgesehen hat, als er noch lebte: Der Unglückliche hat praktisch kein Gesicht mehr.
Eine Viertelstunde später trifft Kommissar Tessier aus Fontainebleau in Begleitung von mehreren Gendarmen am Schauplatz ein. Er kann das Opfer mühelos identifizieren, da es seine Papiere mit sich führt. Es handelt sich um den Bahnangestellten Louis Noel.
Obwohl er kein Polizeiarzt ist, weiß der Kommissar sofort, daß er es nicht mit einem Unfall, sondern mit einem Verbrechen zu tun hat. Die Verletzungen sind durch einen Revolver verursacht worden, was er aufgrund seiner langjährigen Erfahrung gleich erkennt. Er zählt fünf Einschüsse, die das Opfer mitten in den Kopf getroffen haben. Es handelt sich um einen besonders gewalttätigen Mord, bei dem man fast an eine Hinrichtung denken könnte, an eine Art Abrechnung. Während seine Männer noch mit der Spurensicherung beschäftigt sind, begibt sich der Kommissar zu der Adresse des Toten in Vieilles-Maisons. Er steht jetzt vor der schwierigen Aufgabe, der Witwe die Nachricht zu überbringen. Dies gehört zu den Dingen, die ihm in seinem Polizistendasein am wenigsten behagen.
In der Tat erwartet ihn eine so dramatische Szene, wie er es selten erlebt hat. Françoise Noel, die Ehefrau des Ermordeten, ist eine kleine, etwas rundliche Frau mit dunklem Haar. Als sie vom Tod ihres Mannes erfährt, bricht sie trotz der schonungsvollen Art des Beamten in herzzerreißendes Wehgeschrei und Schluchzen aus. Erst nach ein paar Minuten gelingt es ihr, sich ein wenig zu beruhigen. Mit tonloser Stimme fragt sie: »Es war kein Unfall, nicht wahr?
Der Kommissar kann seine Überraschung nicht verbergen. Er hatte ihr Louis Noels Ableben mitgeteilt, ohne die Ursache zu nennen. Obwohl er auf den Schmerz der Witwe Rücksicht nehmen möchte, gewinnen seine berufsbedingten Reflexe die Oberhand.
»Wissen Sie denn etwas darüber?« fragt er gespannt. »Hat man ihn bedroht?«
Der erneut schluchzenden Madame Noel fällt es schwer, sich diesen Fragen zu stellen, doch immerhin stammelt sie unter Tränen: »Seit einiger Zeit war er nicht mehr derselbe. Er wirkte immer sehr niedergeschlagen. Einmal hat er zu mir gesagt: >Kümmere dich nicht darum. Das ist eine Geschichte unter Männern, und das wird unter Männern geregelt<. Ich habe ihm natürlich kein Wort geglaubt!«
Nach einigen Worten des Trostes überläßt Kommissar Tessier die Witwe ihrem Schmerz. Da es schon spät ist, wird er die Ermittlung am nächsten Tag fortsetzen.
Zunächst versucht er, die verschiedenen Eindrücke dessen, was er gehört und gesehen hat, zu sortieren. Auf den ersten Blick könnte man an ein Verbrechen aus Leidenschaft denken. Es würde auch in diesem Fall dem klassischen Muster entsprechen, daß die Witwe, die womöglich die Komplizin des Mörders ist, von geheimnisvollen Bedrohungen spricht. Andererseits läßt die Brutalität dieser Tat eher auf das Werk eines Berufsverbrechers schließen. Um dem Fall unvoreingenommen zu begegnen, muß man daher erst einmal die Zeugenaussagen abwarten.
Und die hat der Kommissar bereits am nächsten Morgen vorliegen. Sie stammen von den Kollegen des Opfers, Sylvain Prolier und Bernard Hogier, die sich in Tessiers Büro einfinden. Sie berichten ihm von dem, was Louis ihnen anvertraut hatte, und von dem geheimnisvollen Attentat, dem er am 27. Januar entgangen war.
Der Kommissar will es jedoch genau wissen: »Sind Sie sicher, daß er um sein Leben fürchtete?«
»Absolut sicher. Er hat sogar wörtlich gesagt: >Der Tod lauert auf mich da draußen...<«
»Und bei dem Vorfall vom 27. Januar handelte es sich wirklich um einen Hinterhalt?«
Bernard Hogier, der beinahe anstelle seines Kameraden getötet worden wäre, bestätigt ihm dies eindeutig: Der Mann war geflüchtet, als er gesehen habe, daß er nicht Louis Noel sei. Auf jenen hatte er es abgesehen und nicht auf irgendeinen anderen Angestellten der Eisenbahngesellschaft.
Der Kommissar bedankt sich bei den beiden Zeugen und setzt seine Nachforschungen in Vieilles-Maisons fort. Er befragt die Nachbarn und die Geschäftsleute. Gewiß, diese Geschichte von einem mysteriösen Mörder, der das Opfer schon seit
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