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Das verwunschene Tal

Das verwunschene Tal

Titel: Das verwunschene Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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großer, wolfsähnlicher, rannten kläffend und knurrend hinter ihr her, überholten sie und liefen in die Hafentorstraße.
    Bisher war Elivara nicht angehalten worden. Sie sah Caer- Patrouillen nur von fern. Aber vor ihr brannten Feuer und zahlreiche Fackeln. In der Nähe von Schloss Fordmore arbeiteten jetzt, weit nach Mitternacht, Stadtbewohner. Soldaten bewachten sie. Elivara, die bereit war, jedem anderen Menschen eine schwachsinnige alte Vettel vorzuspielen, blieb stehen und wich dann auf einen Schleichweg aus. Schließlich, nachdem sie über leere Plätze und eisbedeckte Brücken geschlichen war, stand sie auf der leeren Terrasse eines Hauses, das einem Kauffahrer gehört hatte und jetzt leer und geplündert war. Vor ihr erhoben sich die rötlichen Mauern des Schlosses, und auf dem Platz dazwischen arbeiteten sie.
    Eine Grube wurde ausgehoben. Steinquader, die wohl von der Stadtmauer stammten, wurden behauen und zusammengefügt. Unter Brettern verborgen schien ein länglicher Steinbrocken zu liegen, denn von dort kam das wütende Hämmern der Meißel. Überall standen und gingen Doppelwachen. Es war unmöglich, sich unter die Arbeitenden zu mischen.
    Elivara sah schweigend und in steigendem Hass zu, wie die Caer-Offiziere rücksichtslos die Peitsche gebrauchten, wenn jemand zu langsam arbeitete oder sich die Hände an einem Feuer wärmen wollte. Der Priester, Ziel ihres Hasses, war nirgendwo zu sehen. Hinter vielen Fenstern des Schlosses brannten Lichter.
    Wortfetzen drangen an ihre Ohren.
    »... bald aufgerichtet sein. Noch ein paar Tage!«
    »Sie müssen schneller arbeiten.«
    »Dann wird Feithearn die Stele beschwören. Eine Seite ist schon fertig. Die Zeichen sind magisch.«
    Ein dröhnendes Gelächter folgte. Eine Peitsche knallte.
    Ein Offizier schrie: »Und dann muss jeder Städter jeden Tag hierherkommen und sich vor Duldamuurs Obelisken verbeugen.«
    Elivara begriff, was sie eben andeutungsweise gehört hatte. Der Dämonenpriester ließ direkt neben dem Palast eine Stele aufrichten, die voller eingravierter magischer Zeichen war. Wenn jeder Bewohner der Stadt tagtäglich den Bösen Mächten seine Ehrerbietung zu leisten hatte, würden bald alle Menschen hier vollkommen in der Gewalt des Bösen sein. Also würden Elivara und ihre Rebellen, das schwor sie sich, diese Stele stürzen müssen.
    »Aber zuerst«, flüsterte sie im Selbstgespräch, »muss sie aufgestellt sein. Ich werde es diesem Priester zeigen! Vor dem Schloss meines Vaters!«
    Aber sie sah noch einige befremdliche Dinge: Auf der Brüstung der obersten Plattform saßen viele Vögel. Auch große Greifvögel waren darunter. Zwischen den schuftenden Nyrngorern huschten Ratten und Katzen umher, ohne sich gegenseitig anzugreifen. Hunde liefen um die Beine der Posten und ließen sich weder mit Steinwürfen noch mit Fußtritten vertreiben. Und über dem Schloss kreiste ein Schwarm Seeschwalben.
    Das hatte zweifellos etwas zu bedeuten. Aber was?
    *
    Auf der Platte des großen hölzernen Tisches war eine Klappe befestigt. Sie wurde an der Rückseite von zwei massiven Stäben gestützt, die in Vertiefungen des Tisches einrasteten. So entstand eine schräge Fläche, die etwa zwei bis drei Ellen im Quadrat maß. Mit kleinen Messingnägeln war ein unregelmäßig geschnittenes Stück Pergament darauf festgespannt. Das Bild, das auf dem elfenbeinfarbenen dünnen Leder entstehen sollte, war mit winzigen Strichen vorgezeichnet. Unzählige zittrig ausgeführte Linien und Kurven bildeten eine merkwürdig exotisch wirkende Landschaft, in der sich Fabeltiere zu tummeln schienen. Aus dem Berg im Hintergrund schien ein böse starrendes Gesicht herausgemeißelt worden zu sein. Nur einige Teile des Bildes waren mit einer Art ölig fließender Lackfarbe fertiggestellt.
    Hester, der halbblinde Bruder der Königin, saß auf der Vorderkante eines Sessels, der viel zu groß für ihn war. Seine Zunge wischte wie ein nervöses kleines Tier über seine Lippen. Das eine Auge stierte einmal kurzsichtig auf das Bild, dann bog der Junge den Kopf in den Nacken und musterte das Gezeichnete und Gemalte aus größerer Entfernung. Erstaunlich sicher aber waren seine Finger, die einen dünnen Pinsel packten und ihn in ein Schälchen mit schwarzem Lack tauchten.
    Die Frau, die hinter ihm saß und Flicken in eine Decke nähte, hieß Swite oder so ähnlich; Hester behielt keine Namen längere Zeit.
    Sorgfältig zog er einige der Kohlestiftlinien nach. Er wusste selbst nicht genau, was

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