Das verwunschene Tal
Wurzeln knirschten, feine Wurzelhärchen lösten sich aus den Fugen im Mauerrest und im Felsgestein. Kurz nachdem Mythor ein Stück Fels überwunden hatte, krachte es direkt über seinem Kopf tief im Gestein. Eine Fläche, groß wie eine Tischplatte, brach auseinander und fiel aufstäubend in einen Hohlraum des Felsens hinein. Hätte er sich dort befunden, wäre er in das Loch gestürzt. Er schüttelte sich und blieb auf einem schmalen Sims, bis Kalathee neben ihm stand.
»Es gibt also doch Fallen«, sagte er und hustete in der Staubwolke, die noch immer von oben herunterrieselte.
»Es wird nicht die einzige gewesen sein«, sagte sie keuchend. Über ihr hangelten sich Nottr und Sadagar ab und umgingen geschickt die große Öffnung mit den zackigen Rändern.
»Ich werde darauf achten«, versicherte Mythor.
Wieder prasselten trockene Früchte aus den Bäumen. Schattenhaft sahen die Eindringlinge kleine tierische Gestalten hinter den Nadelzweigen umherklettern und hörten sie aufgeregt schnattern. Mythor blickte über seine Schulter hinunter in den Abgrund. Das nächste Stück Fels war nicht so steil. Vorsichtig machte er sich an den Abstieg und prüfte jeden Griff vorher, rüttelte an den Vorsprüngen und trat auf die Simse. Wie Hester hier geklettert war, blieb ein Rätsel.
Unterhalb der Felsnase löste sich ein flaches Stück aus der Wand; es war falscher Fels gewesen, irgendwie an den natürlichen Hang gemauert. Aufplatzend sackte die Fläche nach unten, riss mehrere Büsche mit sich und bildete eine Lawine aus Trümmern und ätzendem Staub. Es wurde bereits dunkler, und Mythor versuchte, schneller zu klettern, ohne seine Vorsicht zu vergessen. Einmal brach ein großes Wurzelstück aus dem Fels, und Mythor hing nur an den Händen. Er ließ sich in einen Baumwipfel fallen und landete einigermaßen weich. Dann kletterte er am Stamm abwärts. Nottr überholte Kalathee und half ihr, indem er sie mit einem Stück Seil herunterließ.
Am Fuß des Baumes, der in unnatürlichem Winkel aus dem Hang wuchs, gab unter Mythors Stiefeln das Erdreich nach. Wieder war eine Mauer unter dem Gewicht zusammengebrochen. Mythor fiel schwer auf die Schultern und rutschte vier Mannslängen abwärts, zwischen Dornen, Steinbrocken und faulendem Laub. Der dicke Pelz schützte ihn ein wenig. Dann kippte er nach vorn und fiel auf die Hände.
»Bei Erain!« fluchte er. »Sie scheinen etwas dagegen zu haben, dass jemand das Tal betritt.«
Nicht nur die fehlende Sonne rief diesen Eindruck hervor, sondern auch die Gewächse und die Stimmung nahe dem Boden des Tales. Dunkel, schweigend und beängstigend war alles, kein Tier rührte sich zwischen den riesigen Farnblättern, deren Unterseiten braun und schwarz waren. Noch ein Stück Mauerwerk, das sich unter den Schritten auflöste, eine freie Fläche, in der sich steinerne Falltüren öffneten, als Mythor mit dem Schwert darauf stieß, und dann stand er auf dem Boden des verwunschenen Tales. Irgendwo hinter der düsteren Wildnis lag die auffällige Ruine.
Nottr und Kalathee stolperten die letzten Schritte herunter und glitten neben Mythor in die dämmrige Dunkelheit unter den Gewächsen.
»Ein teuflischer Abstieg«, knurrte Nottr. »Aber kein gebrochener Fuß.«
Er wickelte das Tauende wieder um seinen Pelz, aber ehe er den Knoten schlug, zog er sein Krummschwert und behielt es in der Rechten. Während sie beim letzten Teil ihres Marsches gefröstelt hatten, begannen sie hier zu schwitzen. Es war warm und stickig, ein Geruch nach Moder, Fäulnis und exotischen Blüten breitete sich aus. Die Spuren, die Hesters Tiere hinterlassen hatten, waren auch jetzt unübersehbar. Aber die Fallen waren nicht unter den Ratten, Hunden und Katzen eingebrochen.
Steinmann Sadagar stolperte zwischen den knotigen Wurzeln heran und hob beide Arme. »Ein seltsames Vergnügen, zu deiner Begleitung zu zählen, Mythor«, sagte er keuchend und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein schütteres blondes Haar klebte vor Nässe.
»Du sagst es. Und es verspricht noch vergnüglicher zu werden«, gab Mythor grinsend zurück.
Sadagar schüttelte den Kopf und sah sich um. »Grässlich!« sagte er. Er drückte genau die Gefühle seiner Freunde aus. Mythor hob das Schwert und legte die linke Hand um die Schneide, die in der zunehmenden Dämmerung matt zu leuchten begann.
»So oder so«, sagte er bedächtig und ging langsam in die Richtung, in der nach rund tausend Schritten der Rand des Gemäuers auftauchen würde,
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