Das vierte Opfer - Roman
überlassen.
Melniks Bericht? War noch nicht gekommen, aber war das etwas, worauf man seine Hoffnungen setzen konnte? Das Material über Eggers und Simmel und das wenige, was sie über Rühme wußten, hatten bisher nicht die geringste Übereinstimmung aufgewiesen, außer der Methode an sich, der Vorgehensweise. Nicht ein einziger gemeinsamer Name im Hintergrund ... nichts. Und dann sollte aus Aarlach etwas in der Richtung kommen? Er zweifelte dran.
Verdammte Scheiße, was tun?
Nicht einmal ein Gefühl hatte er, und das hatte er sonst immer. Nicht die geringste Idee oder ein kleiner Stachel, der im Gehirn saß, kratzte und Aufmerksamkeit forderte, keine Merkwürdigkeiten, keine ungewöhnlichen Zusammentreffen, nichts.
Nicht den geringsten Furz, wie gesagt.
Es war, als würde dieser ganze Fall hier eigentlich gar nicht existieren. Oder als würde er auf der anderen Seite einer Wand vor sich gehen, einer undurchdringlichen Panzerglasscheibe, durch die er nur unscharf eine Menge unbegreifbarer Menschen und Handlungen erkennen konnte, die langsam nach einer Choreographie abliefen, die er nicht verstand. Alle einzeln, grundlos und ohne tieferen Zusammenhang.
Ein Geschehen mit einem einzigen, absolut blinden Zuschauer: Hauptkommissar Van Veeteren.
Als würde ihn das alles gar nichts angehen.
Und dann Laurids Reisin.
Aber vielleicht war es ja immer so, sagte er sich und grub in seinen Taschen nach der Zigarettenschachtel. War das nicht einfach nur das alte wohlvertraute Fremdheitsgefühl, das sich immer wieder bei ihm einschlich? Oder war es mehr ...
Verflucht noch mal! unterbrach er sich selbst beim Sinnieren. Zog eine Zigarette heraus. Zündete sie an und stellte sich mit ihr ans Fenster. Blickte auf den Markt hinaus.
Die Dunkelheit begann sich über die Stadt zu senken... die Geschäfte hatten für heute geschlossen, und es gab nur noch wenige Menschen zu sehen, diejenigen, die vor der Markthalle ihren Stand gehabt hatten, packten gerade ihre Sachen ein. Hinten in den Arkaden spielten ein paar Musiker vor tauben Ohren oder vor gar keinen. Er senkte den Blick – bekam den Friedhof und die Treppen den Uferhang hinauf ins Blickfeld, schaute weiter nach links, das Hochhaus bei Dünningen. Nach rechts: der Stadtwald, Rikken, oder wie das noch hieß, dieses andere Viertel da. Irgendwo ...
... irgendwo da draußen saß ein Mörder und fühlte sich verdammt sicher.
Ich muß einen Anfang finden, dachte Van Veeteren. Es ist höchste Zeit.
Und sei es nur, damit die Leute sich wieder trauen, nach draußen zu gehen.
Bausen hatte die Figuren bereits aufgestellt.
»Du bist mit Weiß dran«, sagte Van Veeteren.
»Der Sieger nimmt Schwarz«, sagte Bausen. »Altes Klimkegesetz.«
»Von mir aus gern«, sagte Van Veeteren und schob den Königsbauern vor.
»Ich habe eine Flasche hochgeholt«, sagte Bausen. »Meint der Herr Hauptkommissar nicht auch, daß uns eine Flasche 81er Pergault aus der Klemme helfen könnte?«
»Kann mir keine bessere Hilfe denken«, sagte Van Veeteren.
»Endlich!« rief er eineinhalb Stunden später aus. »Und ich dachte schon, du würdest mir doch noch entwischen.«
»Starkes Spiel«, sagte Bausen. »Interessante Eröffnung... Ich glaube nicht, daß ich die schon mal erlebt habe.«
»Habe ich mir selbst ausgedacht«, sagte Van Veeteren. »Sie erfordert eine gewisse Konzentration und klappt nur ein einziges Mal pro Spieler.«
Bausen hob sein Glas. Er blieb eine Weile still sitzen und schaute in sein leeres Glas.
»Scheiße«, sagte er. »So langsam geht mir das hier auf die Nerven, wenn ich ehrlich sein soll. Meinst du, wir werden den Fall lösen?«
Van Veeteren zuckte mit den Schultern.
»Tja...«
»Keysenholt hat eine halbe Stunde, bevor du gekommen bist, angerufen«, fuhr Bausen fort. »Das ist der Länderchef, weißt du. Er wollte wissen, ob ich noch bleiben will. Bis wir das hier gelöst haben...«
Van Veeteren nickte.
»Das Blöde ist, daß er mich nicht ausdrücklich darum gebeten hat, zu bleiben. Er hat nur gefragt, was ich davon hielte ... wollte, daß ich das selbst entscheide. Verflucht nette Verabschiedung, nicht wahr? Wenn man sich selbst für inkompetent erklärt und in Pension geht.«
»Nun ja«, versuchte Van Veeteren abzuwiegeln.
»Und daß ich selbst nicht weiß, was ich tun soll, macht die Sache nicht besser. Ist schließlich nicht besonders ruhmreich, sich noch ein paar Extramonate zu geben und dann den Fall doch nicht zu lösen. Oder was meinst
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