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Das vierte Opfer - Roman

Das vierte Opfer - Roman

Titel: Das vierte Opfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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fünfzehn... aber nach den meisten braucht man nicht zu suchen. Die tauchen mehr oder weniger von ganz allein auf. Stellen sich, oder man muß sie sich einfach nur schnappen, das ist ungefähr wie Äpfelpflücken. Die meisten Fälle lösen sich innerhalb von ein paar Wochen, kann man wohl sagen.«
    »Und solche Fälle wie hier? Wie oft kommen die vor?«
    Münster zögerte.

    »Nicht so oft. Ein oder zweimal im Jahr vielleicht...«
    »Aber ihr löst alle...«
    »Im großen und ganzen ja. Der Hauptkommissar mag keine ungelösten Fälle. Er wird ungenießbar, wenn es zu lange dauert. Und es gibt nur einen einzigen Fall, bei dem er aufgegeben hat, soweit ich weiß, der Fall G. Das muß jetzt fünf, sechs Jahre her sein... ich glaube, darüber ärgert er sich noch heute.«
    Beate Moerk nickte.
    »Dann glaubst du also, er wird auch den hier lösen?«
    Münster zuckte mit den Schultern.
    »Höchstwahrscheinlich. Aber die Hauptsache ist doch, daß wir ihn überhaupt zu fassen kriegen... die Ehre ist dann groß genug für alle. Oder?«
    Beate wurde rot. Sie drehte den Kopf weg und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, aber Münster hatte ihre Reaktion gesehen.
    Aha, dachte er. Eine ehrgeizige junge Inspektorin. Vielleicht die reinste Privatdetektivin?
    »Hast du eigene Theorien?« fragte er.
    »Eigene? Nein, natürlich nicht. Ich denke zwar darüber nach, aber bis jetzt bin ich noch zu keinem Resultat gekommen.«
    »So ist das meistens«, sagte Münster.
    »Wie?«
    »Daß man das Gefühl hat, man tritt die ganze Zeit auf der Stelle, und dann plötzlich setzt sich etwas in Bewegung... irgendein kleines Detail, das wächst und an Bedeutung gewinnt, und dann geht es ganz schnell.«
    »Hm«, sagte Beate Moerk. Rührte in ihrem Kaffee und kratzte mit dem Fingernagel einen weiteren Wachsfleck ab.
    »Darf ich etwas gestehen?« fragte sie nach einer Weile.
    »Aber gern«, ermunterte Münster sie.
    »Ich finde... ich finde das irgendwie auch spannend. Ich meine ...«
    »Ich weiß«, versicherte Münster ihr.

    »... mir ist klar, daß ich es in erster Linie schrecklich und eklig finden sollte, daß ich nichts anderes im Kopf haben sollte, als den Henker zu jagen, weil er ein fürchterlicher Verbrecher ist und damit die ehrlichen Leute wieder nachts ruhig schlafen können. So ist es natürlich auch, aber... aber ich muß zugeben, daß ich es auch ein ganz kleines bißchen genieße. Das ist doch irgendwie pervers, oder findest du nicht?«
    Münster lachte.
    »Nein, das finde ich nicht«, sagte er.
    »Dir geht es genauso!« platzte Beate Moerk heraus, und plötzlich, für eine schwindelerregende winzige Sekunde, geschah etwas in Kommissar Münsters Kopf... ihr unverstellter Blick, als sie das sagte, dieser frische, etwas kindliche Gesichtsausdruck... diese Reine, Maskenlose, er wußte nicht genau, was es eigentlich war, jedenfalls versetzte es ihm einen Schlag und weckte eine Erinnerung in ihm... die zu einem anderen Kapitel seines Lebens gehörte. Etwas, das er kannte. Das er genossen und davor kapituliert hatte. Natürlich hätte er gewarnt sein müssen, und natürlich war er das auch ... es war etwas mit diesem Spaziergang durch die Stadt gewesen, mit diesem Bier in der Blauen Barke, mit ihrem Gespräch zwischen den Verhören, spielerisch und fast leichtsinnig... etwas, das so banal und flüchtig war, daß er sich kaum traute, es in Worte zu fassen.
    »Nun ja«, sagte er. »Es ging mir so, besser gesagt – anfangs, meine ich. Man wird ja etwas abgebrüht.«
    Nicht, daß sie versuchte, ihn dahin zu kriegen. Eher im Gegenteil. Anscheinend gab ihr das Wissen, daß er verheiratet war, daß es Synn gab, eher den Mut, ihm näherzukommen, die Zügel schleifen zu lassen – da sie doch wußte, daß sie auf sicherem Boden war.
    Sicherer Boden? Und er selbst?
    »Woran denkst du?«
    Ihm wurde bewußt, daß sie ihn wieder ansah. Anscheinend war er für ein paar Sekunden abwesend gewesen.

    »Ich... weiß nicht«, brachte er hervor. »An den Henker, nehme ich an.«
     
    »Was hält deine Frau von deinem Job?«
    »Warum fragst du das?«
    »Antworte erst.«
    »Wie Synn meinen Beruf findet?«
    »Ja. Daß du von zu Hause fort mußt. Wie jetzt zum Beispiel.«
    »Davon hält sie nicht besonders viel.«
    »Habt ihr euch gestritten, bevor du weggefahren bist?«
    Er zögerte.
    »Ja«, sagte er. »Wir haben uns gestritten.«
    Beate Moerk seufzte.
    »Das wußte ich«, sagte sie. »Ich habe nur gefragt, weil ich wissen will, ob es wirklich möglich ist,

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