Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
Vom Netzwerk:
Klingt, als habe er getrunken.
    »Haben Sie einen gezwitschert, Pawel Petrowitsch?«
    »Könnte schon sein«, sagte die dröhnende Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ein Mann braucht hie und da ein paar Tropfen. Besonders wenn er Probleme hat.«
    Karpow wurde klar, daß die Sache ernst war. Er ließ den scherzenden Ton fallen.
    »Schon gut, Starez«, sagte er begütigend, »wo sind Sie?«
    »Kennen Sie meine Hütte?«
    »Natürlich. Soll ich rauskommen?«
    »Ja, ich wär' Ihnen dankbar. Wann können Sie hier sein?« fragte Borisow.
    »Sagen wir gegen achtzehn Uhr«, schlug Karpow vor.
    »Eine Flasche Pfefferwodka wartet schon auf Sie«, sagte die Stimme, und Borisow legte auf.
    »Nicht auf mich«, brummte Karpow. Im Gegensatz zu den meisten Russen trank Karpow kaum, und wenn, dann höchstens einen anständigen armenischen Kognak oder einen schottischen Malzwhisky aus London, im Kuriergepäck, für ihn persönlich. Wodka betrachtete er als das Scheußlichste vom Scheußlichen, und Pfefferwodka sogar als etwas noch Schlimmeres.
    Mein Sonntagnachmittag in Peredelkino ist futsch, dachte er und rief Ludmilla an, um ihr zu sagen, daß er's nicht schaffen würde. Von Borisow kein Wort; nur daß er nicht weg könne und gegen Mitternacht in ihrer Moskauer Wohnung sein werde.
    Borisows Aufgeregtheit machte ihm immer noch zu schaffen; sie kannten sich zu lange, als daß er sie ihm übelgenommen hätte, aber sie war merkwürdig bei einem Mann, der sonst die Ruhe selbst war.
    An diesem Sonntagnachmittag kam die reguläre Aeroflot- Maschine aus Moskau kurz nach siebzehn Uhr im Londoner Flughafen Heathrow an.
    Wie bei allen Aeroflot-Crews arbeitete ein Besatzungsmitglied für zwei Herren: für die staatliche russische Fluglinie und den KGB. Der erste Offizier Romanow gehörte nicht fest zum KGB, er war nur ein »agyent«, das heißt, jemand der die Kollegen bespitzelte und gelegentlich Botschaften überbrachte und Gänge besorgte.
    Die ganze Mannschaft verließ das Flugzeug und übergab es für die Nacht dem Bodenpersonal. Sie würden am nächsten Tag wieder nach Moskau zurückfliegen. Wie immer unterwarfen sie sich den Einreiseprozeduren für Flugzeugbesatzungen, und der Zoll prüfte oberflächlich ihre Umhänge- und Tragtaschen. Ein paar hatten Transistorradios, und niemand beachtete das Sonygerät, das Romanow am Schulterriemen trug. Der Besitz westlicher Luxusgüter war, wie jedermann wußte, ein Vorrecht der ins Ausland reisenden Sowjetbürger, und obwohl ihnen Devisen nur knapp zugemessen wurden, gehörten Kassetten und Recorder zusammen mit Radios und Parfüms für die in Moskau gebliebenen Frauen zu den vordringlichsten Anschaffungen.
    Nach Erledigung der Paß- und Zollformalitäten stieg die ganze Besatzung in einen Minibus und fuhr zum Hotel Green Park, wo die Aeroflot-Crews oft absteigen. Wer immer Romanow das Transistorradio in Moskau drei Stunden vor Abflug gegeben hatte, wußte genau, daß das Aeroflot-
    Flugpersonal in Heathrow kaum jemals beschattet wird. Die Leute von der britischen Abwehr scheinen das Risiko, das diese Crews zweifellos darstellen, für akzeptabel zu halten im Vergleich zu den ausgedehnten Überwachungsmaßnahmen, die zur Ausschaltung dieser Gefahr ergriffen werden müßten.
    Als Romanow in seinem Zimmer war, warf er unwillkürlich einen neugierig prüfenden Blick auf das Gerät. Dann zuckte er die Achseln, sperrte es in sein Köfferchen und ging in die Bar hinunter, um mit seinen Kollegen ein Glas zu trinken. Er wußte genau, was er nach dem Frühstück am nächsten Tag zu tun hatte. Er würde die Anweisung befolgen und dann alles vergessen. Er wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß er sofort nach seiner Rückkehr in Quarantäne gehen würde.
    Karpows Wagen fuhr kurz vor achtzehn Uhr knirschend über den tief verschneiten Pfad, und Karpow verfluchte wieder einmal die Schnapsidee des alten Mannes, sich in einer derart gottverlassenen Gegend ein Wochenendhaus zu halten.
    Jeder im Dienst wußte, daß Borisow ein Unikum war. In einer Gesellschaft, die jede Art von Individualismus oder Abweichung von der Norm, ganz zu schweigen von Exzentrizität, für äußerst suspekt hält, genoß Borisow Narrenfreiheit, weil er in seinem Beruf ein As war. Er hatte seit frühester Jugend im Geheimdienst gearbeitet, und einige seiner Coups gegen die Westmächte waren in die Legende eingegangen und machten die Runde in den Ausbildungsschulen und den Kantinen, wo der Nachwuchs zu Mittag aß.
    Nach einem Kilometer

Weitere Kostenlose Bücher