Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
Vom Netzwerk:
Fahrt auf dem Pfad konnte Karpow die Lichter der Isba, der Holzhütte, ausmachen, in der Borisow seine freien Wochenenden verbrachte. Alle anderen waren bemüht, ihre Wochenendhäuser gemäß ihres Platzes in der Hackordnung in der Prominentengegend unterzubringen, das heißt westlich von Moskau entlang der Flußbiegung jenseits der Uspenskojebrücke. Nicht so Borisow. Er zog sich an den Wochenenden, an denen er von seinem Schreibtisch loskam, tief in die Wälder östlich der Hauptstadt zurück und spielte dort den Muschik in einer traditionellen Isba. Der Tschaika hielt vor der Bohlentür.
    »Warten Sie hier«, sagte Karpow zu seinem Fahrer.
    »Ist wohl besser, ich wende und lege einige Holzprügel unter die Räder, damit wir nicht völlig versacken«, murrte Mischa.
    Karpow nickte zustimmend und kletterte aus dem Wagen. Er trug keine Überschuhe, weil er nicht vorgehabt hatte, durch knietiefen Schnee zu waten. Er stolperte zur Tür und hämmerte auf sie ein. Sie ging auf, und ein gelblicher Lichtstreifen, der offensichtlich von einer Paraffinlampe stammte, fiel ins Freie. Im Türrahmen stand Generalmajor Pawel Petrowitsch Borisow, angetan mit einem sibirischen Kittel, Kordhosen und Filzpantinen.
    »Ah, Original Tolstoi«, bemerkte Karpow, während er ins Wohnzimmer geführt wurde, wo ein Kachelofen voller Holzscheite behagliche Wärme verbreitete.
    »Besser als Original Bond Street«, brummte Borisow, während er Karpows Mantel nahm und ihn an einen Holzhaken hängte. Er entkorkte eine Flasche Wodka, der so stark war, daß er wie Sirup in die beiden Gläser floß. Die Männer setzten sich einander gegenüber an den Tisch.
    »Ex«, Karpow hob sein Glas, wobei er es auf russische Art zwischen Zeigefinger und Daumen hielt und den kleinen Finger abspreizte.
    »Auf Ihrs«, antwortete Borisow, und sie kippten das erste Glas.
    Eine alte Bäuerin mit ausdruckslosem Gesicht und grauem, zu einem straffen Knoten geflochtenen Haar tauchte, wie Mütterchen Rußland persönlich, aus dem Hintergrund auf, knallte einen Imbiß aus Schwarzbrot, Zwiebeln, Gewürzgurken und Käsewürfeln auf den Tisch und entfernte sich wortlos.
    »Nun, wo drückt der Schuh, Starez?« fragte Karpow.
    Borisow war fünf Jahre älter als er, und nicht zum ersten Mal war er von dessen Ähnlichkeit mit Dwight Eisenhower frappiert. Karpow wußte, daß Borisow, im Gegensatz zu vielen anderen, bei seinen Kollegen beliebt war und von seinen jungen Agenten vergöttert wurde. Sie hatten ihm schon vor langer Zeit den Kosenamen »Starez« gegeben, ein Wort, das einst die russischen Dorfschulzen bezeichnete, heute aber soviel wie »der Alte« oder »le patron« heißt. Borisow starrte ihn düster über den Tisch hinweg an.
    »Jewgenij Sergeiwitsch, wie lange kennen wir uns schon?«
    »Eine Ewigkeit und drei Tage«, sagte Karpow.
    »Und habe ich Sie während dieser ganzen Zeit jemals belogen?«
    »Nicht, daß ich wüßte.« Karpow war ernst geworden.
    »Und wollen Sie mich jetzt anlügen?«
    »Nicht, wenn ich es vermeiden kann«, sagte Karpow bedächtig. Was war nur in den alten Knaben gefahren?
    »Was zum Teufel treiben Sie dann mit meiner Abteilung?« Borisow schrie es fast hinaus.
    Karpow dachte über die Frage nach.
    »Warum erzählen Sie mir nicht, was mit Ihrer Abteilung passiert?« konterte er.
    »Was passiert? Ausgenommen wird sie«, knurrte Borisow. »Und Sie stecken dahinter. Oder wissen davon. Wie zum Teufel soll ich die Illegalen leiten, wenn mir meine besten Leute, meine besten Dokumente und meine besten Geräte weggenommen werden? Viele Jahre harter Arbeit... alles futsch und dahin in ein paar Tagen.«
    Die Sache, die er mit sich herumgetragen hatte, war förmlich aus ihm herausexplodiert. Karpow lehnte sich zurück und überlegte, während Borisow die Gläser nachfüllte. Er hätte es im labyrinthischen Getriebe des KGB nicht so weit gebracht, wenn er nicht einen sechsten Sinn für Gefahr entwickelt hätte. Borisow war kein Panikmacher. An dem, was er sagte, mußte etwas daran sein, doch Karpow wußte wirklich nicht, was. Er neigte sich vor.
    »Pal Petrowitsch«, sagte er, indem er die sehr familiäre Verkleinerungsform von Pawel verwendete, »wir ziehen doch nun schon seit vielen Jahren am selben Strang. Glauben Sie mir, ich hab' keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Also hören Sie auf rumzubrüllen, und erzählen Sie.«
    Borisow war besänftigt, wenn auch verwundert über Karpows Beteuerung, nichts zu wissen.
    »Na schön«, sagte er, als erkläre er

Weitere Kostenlose Bücher