Das vierte Protokoll
»D-lupenrein«. Die vier Hauptstücke verwahrte er, nachdem er sie hinlänglich bewundert hatte, in einem Samtsäckchen. Daraufhin begann er mit der zeitraubenden Arbeit, die vierzig kleineren Steine aus dem Gold zu lösen. Während er hantierte, fiel das Licht von Zeit zu Zeit auf ein verblaßtes Mal, eine fünfstellige Zahl, an der Innenseite seines linken Unterarms. Für jeden, der die Herkunft solcher Male kannte, konnte die Nummer nur eines bedeuten. Es war die Tätowierung von Auschwitz.
Zablonsky wurde 1930 als dritter Sohn eines polnischjüdischen Juweliers in Warschau geboren. Beim Einmarsch der Deutschen war er neun Jahre alt gewesen, und ein Jahr später, 1940, wurde das Warschauer Getto eingeschlossen; fast vierhunderttausend Juden waren darin gefangen und durch minimale Lebensmittelzuteilung dem Hungertod preisgegeben.
Am 19. April 1943 unternahmen die neunzigtausend Überlebenden des Gettos, angeführt von den wenigen noch wehrhaften Männern, einen verzweifelten Aufstandsversuch.
Louis Zablonsky war gerade dreizehn geworden, aber so ausgemergelt und entkräftet, daß man ihn für einen Achtjährigen hätte halten können.
Als das Getto am 16. Mai 1943 von Einheiten der Waffen-SS unter General Jürgen Stroop erobert worden war, gehörte der Junge zu den wenigen, die den Massenerschießungen entgingen. Die meisten Bewohner, etwa sechzigtausend, waren bereits tot, im Granatbeschuß oder in den Straßenkämpfen gefallen, von einstürzenden Mauern erschlagen oder hingerichtet. Die verbliebenen dreißigtausend waren fast ausschließlich Greise, Frauen und kleine Kinder. Sie wurden zusammengetrieben, unter ihnen war Zablonsky. Die meisten kamen nach Treblinka und starben.
Eine jener Launen des Schicksals, die manchmal über Leben und Tod entscheiden, fügte es, daß der Zug, in dem Zablonsky transportiert wurde, eine Panne hatte. Der Viehwagen wurde an eine andere Lokomotive angehängt und landete in Auschwitz.
Louis Zablonsky war eigentlich für die Gaskammer bestimmt, doch als er seinen Beruf als »Juwelier« angab, wurde er zurückgestellt und mußte die Wertgegenstände, die noch immer bei den neu eingelieferten Juden gefunden wurden, sortieren und registrieren. Dann wurde er eines Tages in das Krankenrevier zitiert und dem lächelnden blonden Mann übergeben, den sie »den Engel« nannten und der seine perversen Experimente an heranwachsenden jungen Juden vornahm. Auf Joseph Mengeles Operationstisch wurde Louis Zablonsky ohne Betäubung kastriert.
Er fischte den letzten der vierzig kleineren Steine aus der Goldfassung und überzeugte sich, daß er keinen übersehen hatte. Er zählte die Steine und fing an, sie zu wiegen. Vierzig insgesamt; im Durchschnitt ein halbes Karat, meist jedoch kleiner. Nur geeignet für Verlobungsringe, aber alles in allem ungefähr zwölftausend Pfund. Er konnte sie über die Hatton Garden Street unauffällig absetzen. Bargeschäfte; er kannte seine Händler. Dann begann er, die Weißgoldfassungen zusammenzuquetschen.
Ende 1944 wurden die Überlebenden von Auschwitz in Gewaltmärschen westwärts getrieben, und Zablonsky landete in Bergen-Belsen, wo er schließlich, mehr tot als lebendig, von der britischen Army befreit wurde.
Nach langem Krankenhausaufenthalt wurde Zablonsky nach England gebracht und in die Obhut eines Nordlondoner Rabbi gegeben. Nach einer weiteren Genesungskur kam er zu einem Juwelier in die Lehre. In den frühen sechziger Jahren verließ er seinen Meister und eröffnete ein eigenes Juweliergeschäft im East End. Zehn Jahre später gründete er die jetzige, weit einträglichere Firma im West End.
Noch im East End, in der Hafengegend, hatte er angefangen, sich mit Edelsteinen zu befassen, die von Matrosen ins Land gebracht wurden - Smaragde aus Ceylon, Diamanten aus Afrika, Rubine aus Indien und Opale aus Australien. Mitte der achtziger Jahre hatten ihn seine beiden Geschäftszweige, der legale und der illegale, zum reichen Mann gemacht; er war einer der Spitzenhehler Londons, Experte für Diamanten, besaß eine ansehnliche Villa mit Garten in Golders Green und galt als Säule der dortigen Gemeinde.
Als die Weißgoldfassungen nur noch eine formlose Masse waren, warf er den Klumpen zu anderen Goldabfällen in sein Säckchen für Bruchgold. Er wartete, bis Sandra gegangen war, verschloß die Ladentür, räumte sein Büro auf, steckte die vier großen Steine ein und verließ das Gebäude. Auf dem Heimweg rief er von einer Telefonzelle aus eine Nummer
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