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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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unsere Füße in den Stiefeln mit Zeitungspapier umwickelt, aber weder das noch unsere Mäntel halfen gegen die Kälte. Nach zwei Tagen waren wir erschöpft und hätten am liebsten aufgegeben.
    In der zweiten Nacht versuchten wir, in einer zerfallenen Scheune ein wenig zu schlafen, wurden aber jäh geweckt. Wir dachten, es müßten die Deutschen sein, aber da ich Afrikaans spreche, verstehe ich auch ein paar deutsche Brocken, und das hier war nicht Deutsch. Es war Polnisch; polnische Partisanen hatten uns aufgestöbert. Um ein Haar hätten sie uns als deutsche Deserteure erschossen, aber ich schrie aus Leibeskräften, daß wir Engländer seien, und einer von ihnen schien mich verstanden zu haben.
    Während die meisten Bewohner von Breslau und Lamsdorf deutscher Herkunft waren, stammten die Bauern offenbar größtenteils aus Polen, und als die russischen Truppen näher kamen, versteckten viele von ihnen sich in den Wäldern, um den Rückzug der Deutschen zu behindern. Es gab zwei Gruppen von Partisanen: die Kommunisten und die Katholiken. Wir hatten Glück gehabt, uns hatte eine Gruppe katholischer Widerstandskämpfer erwischt. Sie behielten uns während dieses harten Winters, als man im Osten bereits die russischen Geschütze donnern hörte und der Vormarsch näher kam. Im Januar erkrankte mein Kamerad an Lungenentzündung; ich versuchte, ihn gesund zu pflegen, aber es gab keine Antibiotika. Er starb, und wir begruben ihn im Wald.«
    Preston kaute melancholisch an seinen Broten und trank den Kaffee. Er mußte nur noch wenige Seiten lesen.
    »Im März 1945 waren die Russen plötzlich da. In unserem Wald konnten wir hören, wie ihre Panzer und Geschütze auf den Landstraßen nach Westen rumpelten. Die Polen entschlossen sich, in den Wäldern zu bleiben, aber ich hielt es nicht mehr aus. Sie zeigten mir den Weg, und eines Morgens stolperte ich mit erhobenen Händen aus dem Wald und ergab mich einer Abteilung russischer Soldaten.
    Zuerst hielten sie mich für einen Deutschen und hätten mich beinahe erschossen. Aber die Polen hatten mir beigebracht, ich müsse >Angleeski< rufen, was ich zu wiederholten Malen tat. Die Russen ließen ihre Gewehre sinken und riefen einen Offizier. Er sprach kein Englisch, aber er sah sich meine Hundemarke an und sagte etwas zu den Soldaten, worauf sie übers ganze Gesicht grinsten. Aber wenn ich gehofft hatte, die Heimat bald wiederzusehen, so hatte ich mich getäuscht. Sie übergaben mich dem NKWD.
    Fünf Monate lang wurde ich in verschiedenen dumpfen, eiskalten Zellen einer brutalen Behandlung unterworfen. Die ganze Zeit über blieb ich in Einzelhaft. Mehrmals wurde ich unter Anwendung des dritten Grades verhört, denn ich sollte gestehen, daß ich ein Spion sei. Ich weigerte mich und wurde nackt zurück in meine Zelle gebracht. Im späten Frühjahr (in Europa ging der Krieg zu Ende, aber das wußte ich nicht) war ich so sehr geschwächt, daß ich wenigstens eine Pritsche zum Schlafen bekam und besseres Essen, das indes nach südafrikanischen Maßstäben noch immer ungenießbar war.
    Dann muß irgendein Befehl von oben eingegangen sein. Im August 1945 wurde ich, mehr tot als lebendig, in einem Lastwagen nach Potsdam gebracht und dort der britischen Army übergeben. Ich erfuhr mehr Freundlichkeit, als ich schildern kann. Nachdem ich einige Zeit in einem Lazarett in der Nähe von Bielefeld gepflegt worden war, kam ich nach England. Im EMS Hospital von Killearn nördlich von Glasgow verbrachte ich weitere drei Monate, und im Dezember 1945 schiffte ich mich endlich in Southampton auf der He de France nach Kapstadt ein, wo ich Ende Januar 1946 ankam.
    In Kapstadt erfuhr ich vom Tod meines Vaters, des einzigen Angehörigen, den ich besaß. Der Schock bewirkte einen Rückfall, und ich mußte wiederum für zwei Monate ins Wynberg-Lazarett in Kapstadt.
    Jetzt bin ich als vollständig gesund entlassen und bewerbe mich hiermit um eine Anstellung beim auswärtigen Dienst der Republik Südafrika.«
    Preston klappte den Ordner zu, und Viljoen blickte auf.
    »Well«, sagte der Südafrikaner, »seine berufliche Karriere verlief stetig und einwandfrei, wenn auch ohne Glanzpunkte. Er brachte es bis zum Ersten Sekretär. Er hatte acht Auslandsposten inne, immer in ausgesprochen prowestlichen Ländern. Acht sind ziemlich viel, aber er ist Junggeselle, und das macht bei den Diensten vieles leichter, ausgenommen auf der Botschafter- oder Ministerebene, wo eine Ehefrau mehr oder weniger vorausgesetzt wird.

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